Agenten im Anzug

Von Holm Friebe, erschienen am 16.03.2002 in der Berliner Zeitung.

 

Neulich war ich zu einem Brainstorming-Wochenende eingeladen. Brainstorming – für diejenigen unter den Lesern, die sich in gesunder Distanz zur Marketingbranche und ihrem Vokabular aufhalten – ist, wenn alle in einem Raum sitzen, den Assoziationen freien Lauf lassen und niemand etwas Negatives sagen darf. Am Ende werden die Ideen dann gesiebt, bis idealerweise eine so genannte Killeridee übrig bleibt. Killeridee ist eine Idee, die so gut ist, dass sie alle anderen Ideen ausradiert – eben wie ein Tintenkiller. Es würde diesmal darum gehen, einen Namen für eine neu zu gründende Agentur zu finden, die, grob gesprochen, Beratungsdienstleistungen an Unternehmen verkaufen soll. Die Details wären dann im weiteren Geschäftsverlauf zu klären. Zunächst solle es aber mal nur um den Namen gehen und das gegenseitige Kennenlernen. Dabei kenne ich die meisten Beteiligten sowieso noch aus Hamburg, wo wir gemeinsam schon einmal visionäre Beratungsdienstleistungen an Unternehmen veräußert haben. Damals, als es noch die New Economy gab. Weil ich wenig Hemmungen habe, jedem ungefragt und eins zu eins meinen Gehirninhalt auseinander zu setzen, gelte ich als guter Inputter und werde ab und zu für Kreativworkshops gebucht, wo dann so tolle Namen wie “Eon”, “Viventis” oder “Isch” entstehen. So auch an jenem Wochenende. Sonnabendmorgens um halb neun – nach kaum vier Stunden Schlaf – holt mich der zukünftige Chef, der zufällig in Berlin ist, in seinem schnittigen Saab von zu Hause ab. Schöner Anzug denke ich noch, bevor ich im Fond einschlafe und erst beim Abfahren von der Autobahn wieder aufwache. Das Hotel liegt zwischen Hamburg und Berlin irgendwo in der mecklenburgischen Pampa an einem See. Es ist ein alter Bauernhof mit Gänsen und Enten und so. Vor dem umgebauten Bootshaus, wo wir sitzen werden, führt ein Steg direkt in den See. Junge Katzen schleichen herum. Das perfekte Idyll. Beziehungsweise: Ein Killerambiente. Die Hamburger haben sich katastrophal verfranst und rufen alle zehn Minuten über Handy an. Ich spiele mit dem Gedanken, in der Blockhaussauna meinen Kater zu kurieren, als sie plötzlich doch noch eintreffen. Großes Hallo und einmal kurz Landluft schnuppern, bevor es losgeht. Vom zukünftigen Chef und Moderator werden wir gebrieft, das heißt: wir bekommen gesagt, wo es langgeht. Der Name soll gleichzeitig Dynamik ausdrücken und Seriosität vermitteln. Er soll beinhalten, was die Agentur tut, aber auch, was sie ist. Die Tonality müsse stimmen. Ferner erstrebenswert sei ein deutscher Name, der aber auch im Englischen funktioniert. Allgemeine Ratlosigkeit. Ich bewundere abermals den mattgrauen Kordanzug, der in wunderschönem Schwung lässig von den Schultern fällt. Jedes Detail von den Ärmelknöpfen bis zu den Knopflaschen an den Gesäßtaschen ist so schlicht, sorgfältig und mit souveränem Geschmackssinn gearbeitet. Ein Killeranzug. Ich bin nachgerade süchtig danach und kann an nichts anderes denken. Als der Heizlüfter das Bootshaus annähernd auf Zimmertemperatur erwärmt hat und der Moderator das Jackett auszieht, sehe ich, dass es von Helmut Lang ist. Unglaublich, wie dieser Mensch, dieses Label es immer wieder schafft, simple Kleidungsstücke in absoluter Perfektion herzustellen. Ich will auch so einen! Spärlich tröpfeln die Vorschläge: “Taskforce”, “Supermarkt”, “Zeitgeist” . Ein echter Killer ist bis zum Abend nicht dabei. Meine Eindeutschungen “Denkpanzer” (vom englischen think tank) und “Gehirnschwimmbad” (statt brainpool) finden insgesamt wenig Anklang. Und bei “Fluximulator” will mir dann überhaupt niemand mehr so recht folgen. Auch nicht beim späteren Glas Rotwein am Kamin: Fehlanzeige. Ich sag noch den Enten tschüss. Auf der Heimfahrt im Regionalzug denke ich an den Kordanzug, und mein Gehirn spuckt unablässig weiter Namen aus. Typisch: Jetzt, wo es nichts mehr nützt. Kaum zu Hause, sichere ich mir als Erstes die Internet-Domains www.cargokult.de und www.zentrale-intelligenz-agentur.de. Dann rufe ich Frau Pe und den alten Grantler Ypsilon an und teile ihnen mit, dass wir jetzt auch und ab sofort eine Agentur gründen. Sie könnten Head of Planning und Senior Consultant werden und sollten mir möglichst schnell Feedback geben. Mal sehen, vielleicht reicht es dann ja irgendwann einmal für einen Helmut-Lang-Anzug.

 

In der Berliner Zeitung.

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