Baseballschlägertagebuch

So heißt die erste Comedy-Show im kosovarischen Fernsehen. Die Sendung darf eigentlich alles. Nur Witze über Minderheiten sind noch ein Problem. Von Holm Friebe, erschienen am 08.06.2002 in der Berliner Zeitung.


PRISTINA, im Juni. Mit einem Mal ist der Bildschirm schwarz und die ganze Stadt dunkel. Noch immer fällt im Kosovo regelmäßig der Strom aus. Das Kohlekraftwerk Kosova 1, dessen Rauchsäulen man von der Hauptstadt Pristina aus sehen kann, ist alt und gehört eigentlich längst abgeschaltet. Jedes Mal, wenn viele Menschen gleichzeitig fernsehen oder sonstwie Strom verbrauchen, geht es in die Knie, und dann geht gar nichts mehr. Jeden zweiten Samstag, vorausgesetzt der Strom fließt, sitzt zumindest die junge Generation vor dem Fernseher und schaut “Ditari i Stupcave”, was übersetzt so viel heißt wie “Baseballschlägertagebuch”. Die halbstündige Sendung auf dem staatlichen Sender RTK ist das einzige Comedyformat im kosovarischen Fernsehen, eine Mischung aus brachialem Slapstick, Politsatire und versteckter Kamera. In einer der Nummern sieht man Angestellte der Elektrizitätsgesellschaft KEK, die sich im Schaltzentrum des Kraftwerks betrinken und aus Spaß den Strom in der gesamten Stadt an- und ausschalten – auch eine Erklärung für die häufigen Stromausfälle. In einer anderen Folge scheitert eine geplante Exekution am Stromausfall. Die Komik der Sendung ist nicht besonders raffiniert und kommt oft ohne Pointen aus, aber sie scheint einen Nerv zu treffen. Die Show erinnert in ihrer Art ein wenig an die frühen Monty Pythons – was wohl auch daran liegt, dass alle Frauenrollen von Männern mit Kopftüchern gespielt werden. Den Vergleich mit der legendären britischen Komikertruppe hat Blerim Qeriqi, einer der Macher, schon mal gehört – von dem BBC-Team, das bis Anfang des Jahres den Sender RTK mit aufbauen half. Die japanische Regierung stellte das Equipment, die Briten das Management. Seit Anfang des Jahres ist RTK als einziger multiethnischer Sender der Region wieder unter kosovarischer Selbstverwaltung. Zusammen mit vier Freunden, alle Mitte zwanzig, macht Blerim die gesamte Show selbst – bis hin zum Schnitt. “Es ist eine echte Mission”, sagt er. “Erst waren wir uns gar nicht bewusst, was das Ganze soll. Aber jetzt wissen wir, was und warum wir es tun. Es geht nicht darum, die Leute zum Lachen zu bringen, sondern die Realität einmal anders zu erzählen. Manches ist auch gar nicht lustig.” Das stimmt. In einem Sketch will eine Delegation von Astronauten in einer Pappmaschee-Rakete zur ersten kosovarischen Weltraummission aufbrechen. Kurz vor dem Start wird das Unternehmen abgeblasen, weil sich herausstellt, dass UN-Resolution 1244, die den derzeitigen Status des Kosovos regelt, keine eigenen Raumfahrtprogramme zulässt. Nicht wirklich lustig, aber jeder Zuschauer kennt das Gefühl der Gängelung und der Unsicherheit, das durch die Präsenz der Unmik-Verwaltung, der internationalen Polizei und Militärs entstanden ist. Dabei ist der Tenor der Gags grundsätzlich eher versöhnlich als bösartig. Witze über Minderheiten, wie sie Harald Schmidt gern macht, wären im Land auch noch ein Problem. Obwohl Blerim zugibt, dass man auch in dieser Richtung experimentiert hat: “Wir probierten die Witze an uns selbst aus, und wir haben gemerkt, das geht nicht, dazu sind wir noch gar nicht bereit.” Dabei könnten sie, wenn sie wollten. Eine Zensur findet nicht statt, weder von Seiten der UN-Verwaltung noch durch den Sender. Agim Zatnizi, Generaldirektor von RTK, war schon zu Zeiten Jugoslawiens Leiter des lokalen Fernsehens, und sein Büro sieht auch noch genauso realsozialistisch aus. Er schaut sich die Sendungen zwar vor der Ausstrahlung an, hat aber noch nie etwas moniert. “Ich mag das Risiko. Risiko ist der Schlüssel zum Erfolg”, sagt er. Die fünf Jungs haben ihm von Anfang an gefallen, deshalb hätten sie freie Hand. Der Erfolg gibt Zatnizi Recht. Quotenerfassung gibt es zwar nicht, aber auf jede Sendung gehen über fünfhundert E-Mails meist aufmunternden Inhalts beim Sender ein – nicht nur aus dem Kosovo, sondern auch aus Serbien und dem Ausland. In Pristina werden die Comedians inzwischen auf der Straße angesprochen, auch wenn sie sich nicht, wie in der Sendung, mit schwarzen Sonnenbrillen und gut sitzenden Anzügen in Szene setzen. Nur die Bezahlung ist bescheiden: pro Sendung erhält jeder pauschal 250 Euro. “Es ist absurd”, findet Blerim. “Du bist Popstar, aber kannst dir nicht mal ein eigenes Auto leisten.” Deshalb will er langfristig auch wieder ins Ausland gehen, am besten nach Amerika oder in die Schweiz, wo er während des Krieges war. Vorher haben er und seine Kollegen aber noch ein größeres Projekt vor: einen richtigen Film drehen. Für die Finanzierung hat man sich schon mal etwas überlegt. Weil es eine öffentliche Filmförderung nicht gibt und auch auf absehbare Zeit nicht geben wird, setzt man auf das Publikum. Im Programm soll ein Spendenaufruf an die Zuschauer gerichtet werden. Eingesammelt werden soll das Geld mit der Stromrechnung, sprich: von den Beamten der staatlichen Elektrizitätsversorgung, die immer noch von Haus zu Haus gehen. Ob man sich diese Option nicht mit den häufigen Stromausfall-Witzen ein wenig verbaut habe? Das sei kein Problem, findet Blerim, es gebe da bereits erste Kontakte: “Wir verarschen sie zwar, aber sie mögen uns trotzdem.”

In der Berliner Zeitung.

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