Branding the Revolution

Werbung ist keine Besonderheit des Kapitalismus. Über die Linke und ihr Marketing. Von Holm Friebe, erschienen am 21.04.2004 in Jungle World.

 

Identitätsnachweise zwischen den Kräften des Kapitalismus und denen, die vorgeben, ihn zu bekämpfen, sind populär dieser Tage, wohl weil die wirklich radikale Alternative – das ganz Andere – aus dem Blick geraten ist. Durch die Brille des Marketing erscheint alles unter dem Paradigma der Marke, frei nach dem Prinzip, dass, wer einen Hammer hat, auch überall Nägel sieht. Der Verweis darauf, dass Naomi Kleins “No Logo” selbst zu einer starken Marke avanciert sei, gehört mittlerweile zu den apologetischen Allgemeinplätzen. Als wenn mit diesem Hinweis bereits etwas entlarvt oder gewonnen wäre. So scheint das Regime des Marketing aber nicht nur alle Lebensbereiche der Gegenwart zu kolonialisieren, sondern en passant auch die Vergangenheit.

 

Darunter fällt etwa die von Boris Groys vorgenommene Umdeutung nicht mehr nur Stalins als “Gesamtkunstwerk”, sondern der gesamten Ära des Stalinismus als “Massenkultur” angelegentlich der Frankfurter Ausstellung “Traumfabrik Kommunismus” (2003). In seinem Katalogaufsatz “Die Massenkultur der Utopie” schreibt Groys: “Die offizielle Kultur der Stalinzeit war ein Teil dieser globalen Massenkultur und lebte von den Energien, welche diese Kultur weltweit weckte. Die stilistische Ähnlichkeit der Kunst der Stalinzeit mit der westlichen, vor allem mit der amerikanischen Massenkultur der damaligen Zeit ist offensichtlich.” Das kann man natürlich alles so sehen. Allerdings muss Groys eine wichtige Einschränkung vornehmen: “Während die westliche Massenkultur von Marktmechanismen beherrscht war, war die Stalin’sche Massenkultur nicht kommerziell oder sogar antikommerziell.”

Der rote Faden des Widerstands

Danach wäre es ein Leichtes, auch den Nationalsozialismus zur Massenkultur zu erklären und Parallelen zu Hollywood aufzuzeigen. Mehr noch lässt sich behaupten, der Faschismus war das erste Regime, das die Regeln moderner Markentechnik konsequent auf sich angewendet hat. All das ist unternommen worden, besonders extensiv in den konsumkritischen Siebzigern. Weniger gut dokumentiert ist die Geschichte der progressiven Kräfte, die einerseits den Kapitalismus als Lebensform bekämpften, andererseits die neuen Möglichkeiten des Markenaufbaus emphatisch begrüßten. Dieser nur scheinbare Widerspruch zieht sich wie ein roter Faden durch fast alle revolutionären Avantgardebewegungen des 20. Jahrhunderts. Und es ist keineswegs nur die künstlerische Linke, die eine Nähe zum Gedanken des Brandings und ein ausgeprägtes Gespür für das Potenzial der eigenen Markenidentität besaß – angefangen bei den Dadaisten, die in den Zwanzigern reflexhaft auf die erste Lawine der Werbe- und Markenbotschaften reagierten und wie selbstverständlich den eigenen Anspruch ableiteten, die radikalste Reklame von allen aufzufahren. Ein Programm mithin, das von Kurt Schwitters mit der Gründung der Merz-Werbezentrale im Jahr 1924 nur allzu rasch in gemäßigtere, dafür kommerziell einträglichere Bahnen gelenkt wurde.

Radikal und schick

Nein, auch die dezidiert politische Linke, die in der Breite vielleicht immer calvinistisch konsumkritisch geprägt gewesen sein mag, es in ihren Spitzen jedoch selten war, hat – zumindest in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts – Positionen hervorgebracht, die Kapitalismuskritik mit Markenfaszination verbanden. Gerade revolutionäre Protagonisten, die sich als Speerspitzen begriffen, haben sich die weitgehendsten Gedanken über ihre eigene Markenidentität und die Indienstnahme von Marketingmechanismen gemacht. Besonders anschauliche anekdotische Evidenz hierfür liefert die RAF, und das nicht erst, seit ihre Ikonografie im Zuge des “Radical Chic” zu neuen Ehren kam und in Berlin und London T-Shirts mit “Prada Meinhof”-Aufdrucken verkauft werden.

 

Der Rückgriff auf die Aura eines ehedem politischen Zeichenvorrats im Kontext von Mode, Werbung und bildender Kunst – vom solarisierten Konterfei des Che auf Plattencovern bis hin zu Warhols Mao-Porträts – ist letztlich ein anderes Thema, wenn auch im Falle der RAF sicherlich ein ergiebiges. Interessanter ist jedoch das Markenbewusstsein der Protagonisten selbst. Einen ersten Hinweis dafür liefert die bekannte Vorliebe der Baader-Meinhof-Gruppe für Fluchtfahrzeuge der Marke BMW, was zu einer temporären Neuaufladung der Abkürzung als “Baader-Meinhof-Wagen” führte. Ein Autoaufkleber “Ich gehöre nicht zur Baader-Meinhof-Gruppe”, fand zur Hochzeit der Rasterfahndung unter BMW-Fahrern große Verbreitung, die die ständigen Straßenkontrollen leid waren. Gleichzeitig, so argumentiert der US-Autor Richard Huffman in seinem Buch “This is Baader Meinhof” (2003), habe die Marke BMW enorm von dieser bekannten Affinität profitiert. Zuvor mit einem spießigen Image versehen, sei BMW auf einmal auch unter jungen Deutschen als hip und cool anerkannt worden, was nicht dem globalen Geschäft zugute gekommen sei. Fraglich, ob den Markenstrategen von BMW dieser Zusammenhang jemals ins Bewusstsein gerückt ist.

Dass hingegen der charismatische Kopf der RAF, Andreas Baader, sehr wohl markenstrategische Gedanken auch über seine eigene Marke anstellte, wissen wir aus einem Interview, das der Grafikdesigner und Markenberater Holm von Czettritz kürzlich der Tageszeitung taz gab. Darin berichtet Czettritz, ein alter Weggefährte Baaders noch aus Schwabinger Studententagen, wie Baader, als dieser eigentlich schon längst in den Untergrund abgetaucht war, eines Tages bei ihm auftaucht und eine Überarbeitung des bekannten RAF-Logos verlangt. (Czettritz: “Heute würde man Relaunch dazu sagen.”) Baader schien wohl die ursprüngliche Rustikalität beibehalten zu wollen, ihm schwebte aber ein irgendwie gefälligeres Gesamtbild vor. Czettritz, wenig begeistert von dem in Aussicht gestellten Job, habe Baader daraufhin mit den Worten abgespeist: “In seiner Rustikalität hat das eine Originalität, die würde ich nicht verändern. Das muss diesen rauen Ursprungscharakter behalten. Das sag’ ich dir als Markenartikler.” Damit sei die Angelegenheit vom Tisch gewesen. Auch wenn nichts aus dem geplanten Relaunch wurde, und auch wenn man ansonsten die RAF eher für einen Trupp durchgeknallter Bürgersöhne und -töchter und insgesamt für wenig vorbildlich halten mag – was die Sorge um die eigene revolutionäre Marke betrifft, war sie dem linken Bewusstsein ihrer Zeit eindeutig voraus.

 

Das linke Bewusstsein jener Zeit war vor allem die Idee vom “falschen Bewusstsein”, von “Verblendungszusammenhang” und “Konsumterror”, die nicht zuletzt durch Werbung und Marketing verbreitet würden. Die Tonart findet sich bereits zehn Jahre zuvor auf einem Flugblatt eines entfernten RAF-Vorläufers, der “Subversiven Aktion”, das 1964 auf dem Kongress der Werbeleiter und Werbeberater in Stuttgart verteilt wurde. Unter dem Titel “Aufruf an die Seelenmasseure” heißt es dort: “ihr suggeriert den Leuten die Bedürfnisse ein, die sie nicht haben! ihr stopft sie voll mit Produkten, damit sie sich ihrer wahren Bedürfnisse nicht bewusst werden! (…) ihr habt die Lüge /consumo, ergo sum/ zur Wahrheit inthronisiert! Deshalb seid ihr die prediger der Unterdrückung!” Es ist die um ein paar apokalyptische Oktaven hochgepitchte Quintessenz aus Vance Packards Buch “Die geheimen Verführer” von 1957. Packard hatte mit dem Buch angesichts neuer und fragwürdiger tiefenpsychologischer Tricks in der Werbung Alarm geschlagen und vor dem “Griff nach dem Unterbewusstsein in jedermann” gewarnt. Das sollte lange Zeit und eigentlich bis heute die hegemoniallinke Haltung zum Komplex Werbung strukturieren.

Weltrevolution in 365 Tagen

Fast gleichzeitig, im Jahr 1958, erschien in Belgien aber ein schmales Bändchen, das – quasi als avantgardistische Gegenposition zu Packard – eine völlig andere Bewertung der Werbung in der künstlerisch-revolutionären Praxis vorschlägt und das als eine Art missing link in der Ideengeschichte zwischen Dada und RAF stehen könnte, wenn es nicht bis heute völlig unbeachtet geblieben wäre. Geschrieben hat es der belgische Kommunist, Surrealist und Magritte-Freund Marcel Mariën, der Titel lautet “Théorie de la révolution mondiale immédiate” und die einzige deutsche Übersetzung erschien 1989 unter dem Titel “Weltrevolution in 365 Tagen – Versuch über das Unmögliche” und ist längst vergriffen.

 

Nach einer schonungslosen Analyse des Scheiterns aller bisherigen linksrevolutionären Politikansätze in der westlichen Welt im ersten Teil entwirft Mariën darin das Programm einer klandestinen Weltrevolution, die sich voll und ganz auf die Mechanismen der Massenpsychologie, der Werbung und des Marketings stützen und vollends in ihnen aufgehen soll: “In unseren Aktionen vermischen sich Werbung und Produkt, das sie bekannt machen soll, und werden tatsächlich Ein- und Dasselbe.”

 

Der Plan Mariëns sieht in der ersten Stufe die Gründung eines weltweit operierenden, äußerlich völlig unpolitischen “Freizeitclubs” vor, der nach allen Regeln der Kunst kommerziell erscheint: flankiert durch eine groß angelegte Kampagne, die jeden in der Sprache anredet, “die er versteht, die er mag und die ihn fesselt”; ausgestattet mit einem so einfachen Logo, “dass es sehr leicht selbst von Kinderhand nachgemacht” und “auch noch mit dem Finger auf die beschlagene Fensterscheibe oder in den Staub auf den Autos gezeichnet werden kann”; ergänzt durch ein akustisches Signal, “dessen Einfachheit mindestens so groß ist wie zum Beispiel die des Buchstaben V im Morsealphabet, der mit den ersten Takten der Fünften Symphonie übereinstimmt.”

 

Basis der langfristigen Subversion des kapitalistischen Systems soll seine perfekte Affirmation und Assimilation sein: “Es kommt also darauf an, unser Personal als auch das Publikum davon zu überzeugen, dass wir ‘Geld machen’, dass sich unsere gigantische Werbung bezahlt macht. Und tatsächlich, wir werden Geld machen, und das ist alles in allem unsere beste Tarnung.” Der Weg zur Weltrevolution binnen Jahresfrist führt anschließend über die Gründung einer imaginären Partei und einer Gegenpartei, die genau entgegengesetzte Positionen vertritt, die aber beide gemeinsam dank ihres enormen finanziellen Rückhalts und ihrer multiplen Propagandakanäle bei den anstehenden Wahlen die überragende Mehrheit erzielen können. Am Schluss stehe die Machtergreifung und die Abschaffung des Privateigentums an sämtlichen Produktionsmitteln.

 

Obwohl Mariën gegen Ende ein wenig die Puste ausgeht, lässt er doch keine Zweifel daran, dass mehr als ein Quäntchen Ernst in diesem Gedankenexperiment steckt. Im letzten Kapitel “Alle Lichter aus” macht er noch einmal besonders die ökonomischen Vorzüge seines quasi nachhaltig kostendeckenden Ansatzes gegenüber dem klassisch marxistisch-leninistischen deutlich: “Unter materiellen Gesichtspunkten würde die praktische Anwendung im Vergleich zur traditionell revolutionären Propaganda unendlich viel weniger an Energie und Geld kosten. Zudem ist sie in keiner Weise auf eine vorherige, schwerfällige und zufällige Indoktrinierung der Masse angewiesen, die solche Aktionen zum Ziel bringen sollen. Unabhängig von solchen Zufällen macht sie schließlich die Revolution in jeder Phase des Kapitalismus möglich, selbst in der blühendsten. Ein nicht unwesentlicher Vorteil, vor allem wenn man bedenkt, dass jede frühere Revolution beträchtlich unter dem schweren Handicap zerrütteter ökonomischer Verhältnisse gelitten hat, deren Wiederherstellung für die neue Organisation eine erdrückende Last war.”

 

Gerade dieser Aspekt lässt das Mariënsche Gedankenexperiment heute, da der Kapitalismus alternativlos erscheint – sieht man einmal vom religiösen Fanatismus ab –, extrem aktuell erscheinen. Es frappiert die Hellsichtigkeit, mit der der Autor aktuelle Marketingtrends bis hin zum “akustischen Branding” antizipiert hat. Einiges konnte er hingegen noch nicht wissen. Den Freizeitclub etwa würde man heute eher im virtuellen Raum vermuten, zum Beispiel in Gestalt einer Multiplayer-Online-Umgebung, wie sie das von Sony betriebene Onlinegame “Everquest” darstellt: 450 000 registrierte “Everquest”-Spieler weltweit zahlen 12,90 Dollar Abogebühr monatlich, um durchschnittlich 20 Stunden pro Woche im virtuellen Land Norrath zu verbringen und dort in mythologisch animierter Fantasyumgebung hauptsächlich einer identitätsstiftenden und nicht entfremdeten “Arbeit” als Schmied, Kaufmann oder Magier nachzugehen. Weil die digitalen “Produkte” und “Dienstleistungen” inzwischen auch außerhalb der reinen Spielumgebung – etwa über eBay – gehandelt werden, lässt sich eine Gesamtwirtschaftsleistung und ein Bruttosozialprodukt ermitteln, das zwischen dem von Russland und Bulgarien liegen soll.

Marke Marcos

Das kommt der Ausgangsidee des Freizeitclubs schon sehr nahe. Andererseits scheinen diese Onlinewelten weniger die Abschaffung des Privateigentums vorzubereiten als dessen wirksame Durchsetzung auch im virtuellen Raum. In jüngster Zeit dringen auch die Marken aus der Kohlenstoffwelt in diese schönen Paralleluniversen vor und kommen dort, ließe sich sagen, ganz bei sich selbst an. Virtuelle Nike-Turnschuhe und virtuelles McDonald’s-Fastfood, die bereits gehandelt werden, bilden nur noch die Essenz der Marke ab – jenes seltsame Fluidum aus symbolischem und spirituellem Mehrwert –, losgelöst vom physischen Ballast des Produktes.

Derweil ist das Bewusstsein, dass der Aufbau einer eigenen Marke wichtig ist und Marketing auch “irgendwie” zu politischen Arbeit dazugehört, heute längst im letzten Winkel der Welt angekommen. Die erste Drittwelt-Befreiungsbewegung, die konsequent darauf baute, waren die Zapatisten in Mexiko. Der Launch der Marke EZLN vor genau zehn Jahren, am 1. Januar 1994, war ein Musterbeispiel integrierter Kommunikation, die dezentrale Offline-Events (das gleichzeitige Auftauchen bewaffneter Trupps in diversen Dörfern in Chiapas) mit einem gut abgestimmten Onlineauftritt (poetische Pamphlete im Web) verknüpfte. Der geschickte Aufbau der Markenikone “Subcomandante Marcos” als charismatischer Vordenker einerseits, als anonyme Kollektividentität andererseits, verband das Bedürfnis nach Heroisierng und Projektion mit dem Bedürfnis nach Wiedererkennbarkeit und Identifikation. Marcos konnte gleichzeitig überall sein, und gleichzeitig konnten alle Marcos sein. “Todos somos Marcos” lautete dementsprechend der zugkräftige Claim, der zusammen mit dem Logo, dem Konterfei des maskierten Marcos, auf T-Shirts, Tennissocken und andere Merchandisingartikel gedruckt wurde.

Faust aufs Auge: Otpor

Kaum eine NGO von Greenpeace bis Attac, die heute nicht – mal erfolgreich, mal weniger – nach diesem Schema operierte. Als jüngste Erfolgsgeschichte wird derzeit die der serbischen Volksbewegung “Otpor” gehandelt, die mit friedlichem Protest und symbolischem Widerstand maßgeblich zum Sturz von Milosevic beigetragen hat. Eine wichtige Rolle dabei spielte nicht zuletzt das griffige Otpor-Logo, eine weiße Faust auf schwarzem Hintergrund, das zunächst im Stile einer Teaser-Kampagne auf Plakatwänden und im Stadtbild auftauchte. Später, als die Bewegung bekannt wurde, kamen T-Shirts, Uhren und Regenschirme hinzu. Das Prinzip erläuterte der Otpor-Sprecher Ivan Marovic kürzlich im Interview: “Wenn du als Revolutionär erfolgreich sein willst, musst du sein wie Coca-Cola. Du musst überall deine Marke platzieren.”

Vier Jahre nach dem Sturz von Milosevic ist aus Otpor eine Art Beratungs- und Brandingagentur für gesellschaftliche Widerstandsbewegungen geworden, die ihre Dienstleistung weltweit und unentgeltlich anbietet. So wurde unlängst der Otpor-Revolutionsbausatz komplett – inklusive des Logos der weißen Faust – nach Georgien exportiert, wo er erfolgreich dem Sturz von Eduard Schewardnadse zugute kam. Auch US-Umweltschützer und schwedische Globalisierungsgegner sollen bereits die Dienste von Otpor in Anspruch genommen haben. Mit der von Mariën imaginierten klandestinen Weltrevolution hat das alles dennoch nicht sehr viel zu tun. Die angewendeten Methoden liegen ebenso offen zutage wie die Ziele der jeweiligen Bewegungen. Und von Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln redet längst niemand mehr.

 

Wenn man heute in diese Richtung dächte, müsste man sich Gedanken darüber machen, wie man wirkungsvoll der immer weiter fortschreitenden Ausdehnung der geistigen Eigentumsrechte begegnete, die sowohl Patentrechte als auch Markenrechte einschließt. Der Kampf gegen die Patentierung von Erbgut fällt ebenso darunter, wie die Praktiken des Culture Jamming oder des Brandhacking, die eher dem Kampf um die Hegemonie im Reich der Zeichen dienen. Wie Marc Dery es bereits 1993 beschrieb: “Diese Guerillasemiotiken erschaffen neue Mythen, zusammengestückelt aus dem Material des eigenen Lebens, ein Patchwork aus Erfahrungen und Hoffnungen, das wenig mit den repressiven Fiktionen der magischen Königreiche der Markenkommunikation gemein hat.” All diesen Strategien ist jedoch gemein, dass sie zuvorderst defensiv angelegt sind. “No Logo” ist eine starke Marke, gewiss, aber eine, die große Konzerne als Über- und Gegenmacht braucht, um zu funktionieren.

Besser leben und werben

Wie müsste eine Marke aussehen, die darauf verzichten kann, weil sie selbst eine Vorstellung vom besseren Leben hier und heute vermittelt? Vielleicht ein bisschen wie der Markenauftritt des Kollektivs “American Apparel” aus Downtown Los Angeles, das sich rühmt, gerade die Essenz des schlichten T-Shirts neu zu entdecken, das einmal als Ikone amerikanischer Freiheit und Jugendkultur galt. In ihren stylischen Anzeigen für sweatshopfrei hergestellte Baumwollbekleidung heißt es: “We are the cutting edge of a new business movement. We are a socialist-capitalist fusion ensuring that everyone touched by our business process has a positive experience.” Das klingt erst mal nicht schlecht, aber ein bisschen mehr als Unterwäsche sollte unsere Marke schon können. Zum Beispiel alle Lebensbereiche und Bedürfnisse abdecken. Vielleicht wird es eine Multiuser-Onlineumgebung sein, in der neue Formen der sozialen Interaktion und der alternativen Ökonomie erprobt werden können, die dann irgendwann in die physikalische Welt abstrahlen. Dass sich damit unter Umständen und nebenbei viel Geld verdienen lässt, wäre – noch einmal mit Marcel Mariën gesprochen – alles in allem unsere beste Tarnung.

 

In Jungle World.

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