Das Gegenteil von Pop heißt jetzt auch Pop

Aber das bringt uns erst richtig in Schwung: Ein Podium zum Stand der Poptheorie im WMF. Von Holm Friebe, erschienen am 03.05.2001 in der Berliner Zeitung.

 

Also, für mich ist Pop gelb. So gelb etwa wie der im monochromen Fleckhaus-Design gehaltene Band “Sound Signatures. Pop-Splitter”, der jüngst in der ehedem altehrwürdigen und akademisch angestaubten Edition Suhrkamp erschienen ist. Oder wie die diaprojizierte Schrift an den Wänden des WMF, wo das Buch am vergangenen Montag der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. “Der Beat ist die Botschaft”, stand dort unter anderem. Nur, wie lautet die Botschaft noch gleich? Mit Pop ist das so ähnlich wie mit Elektrizität: Man weiß genau, was es ist, wenn man nicht darüber sprechen muss. In letzterem Fall allerdings wird es schwierig. Andererseits hat sich durch den Import der Cultural Studies und die lange Zeit meinungsbildende Zeitschrift “Spex” längst ein zumindest anakademisierter Jargon etabliert, in dem über Pop sich reden lässt. Der Sammelband selbst, herausgegeben von Jochen Bonz, ist schillerndes und Suhrkamp-untypisches Zeugnis dieser Gemengelage. In 21 völlig disparaten Beiträgen von Autoren, die alle mehr oder weniger der Pop-Fraktion zuzuschlagen sind, wird tastend das Terrain sondiert: vom radikal subjektiven Erfahrungsbericht bis zum hoch theoretischen Essay. Ein Drittel der Beiträger, die sämtlich die magische Dreißigergrenze längst passiert haben, sitzt auf dem Podium des WMF und versinkt in tiefen Lounge-Sesseln, in denen normalerweise gechillt und geschwiegen wird. “Haben wir uns denn überhaupt etwas zu sagen?”, eröffnet Moderator Tobias Rapp zaghaft die Diskussion. Trotz der lauen Frühlingsnacht hat sich eine illustre Schar aus Journalisten und Studenten der Kulturwissenschaften eingefunden. Früher sei Pop ein hübsches buntes Schaufenster gewesen, referiert Rapp Jochen Bonz Einleitung des Bandes, doch dann habe jemand das Schaufenster eingeschmissen und jetzt lägen die Scherben überall herum. Gemeint sind die divergierenden heutigen Strömungen der Musik- und Lebensstile, der “Mainstream der Minderheiten”. Ob man denn mit den Scherben noch etwas anfangen könne, und wie es heute um das “existenzielle Besserwissen” bestellt sei? Dies ein anscheinend nicht mehr erklärungsbedürftiger Begriff von Diedrich Diederichsen, der an diesem Abend mehrfach fällt und genau die Sprachlosigkeit im Angesicht von Pop thematisiert: Man muss es leben, um es (besser) zu verstehen. Überhaupt gibt Diederichsen, der zwar im Buch, nicht aber physisch auf der Bühne vertreten ist, den steinernen Gast. Auch sein “Spex”-Aufsatz von 1992, “The Kids are not allright”, in dem er das Ende des Konzeptes Pop = Subversion angesichts aufkeimender rechter Jugendkultur postuliert, wird gleich mehrfach zitiert. Es ist ein bisschen, als sei der gesamte Popdiskurs auf dem Stand von 1992 eingefroren. Niemand will mehr die alten Diskussionen führen, dennoch tun sie es aus Verlegenheit: Andreas Neumeister, Autor des Romans “Gut laut” und damit neben Rainald Goetz und Thomas Meinecke ein Drittel der Suhrkamp-Pop-Autorenschaft, bestreitet die durch seinen Essay-Titel “Pop als Wille und Vorstellung” insinuierte Nähe zu Schopenhauer. Dafür bemängelt er, dass das Popwissen immer noch von “Nerds” verwaltet wird: Das sind weiße heterosexuelle Jungs mit ausufernder Plattensammlung, ebensolchem Detailwissen und Karoflanellhemden. Jungs wie Neumeister, eben. Mercedes Bunz, Herausgeberin der Zeitschrift “De:Bug”, versteigt sich zu der steilen Anti-Kittler-These, nicht etwa die Kriegstechnologie sei die große Innovationsmaschine des letzten Jahrhunderts gewesen, sondern die Pop-Branche. So etwas nennt man wohl selektive Wahrnehmung. Einzig der gemütliche Thomas Meinecke wirkt gut aufgeräumt und ist mit allem versöhnt. Weder seine zwei Romane noch sein Buchbeitrag, ein Selbstversuch in Sachen Frauenzeitschriftenlektüre, handeln ja eigentlich von Musik, so dass ihm das Pop-Label stets wie ein wundersames Kleinod in den Schoß gefallen scheint. Er selbst wolle “emphatisch am Begriff Pop festhalten”, der “eine Art sich immer änderndes Gleiches” darstellt. Dass es keine einheitliche Sub- oder Gegenkultur und keine einheitliche Sprechweise darüber gibt: geschenkt. “Der Diskurs klingt wie die Musik, und die ist ja auch kleinteiliger geworden. Es geht nicht mehr darum, den Kanzler aufzuhängen, sondern die Mikroprozesse offen zu legen, wie so jemand Kanzler werden kann.” Wie das denn wäre mit einem Pop-Kanzler, oder zumindest doch einem Ex-Pop-Außenminister? Auch kein Problem. Meinecke: “Wenn sich das Gegenteil von Pop auch Pop nennt, dann komme ich erst in Schwung.” So war man sich denn in punkto Dialektik des Pop zumindest weit gehend einig. Einziger Misston des Abends war, als Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow einen gekippten Buchbeitrag ansprach, in dem es autobiografisch um Pop und Magersucht gegangen wäre. Die hässliche Rückseite von Pop, sozusagen. Das sei Sache des Verlages, hieß es, der bei der Auswahl das letzte Wort inne hatte. Schließlich dürfe man nicht vergessen: “Das waren keine Pop-Kriterien sondern Suhrkamp-Kriterien”, nach denen da ausgewählt wurde. Das erklärt natürlich einiges.

Jochen Bonz (Hg.): Sound Signatures. Pop-Splitter. Edition Suhrkamp, Frankfurt am Main. 2001, 310 S., 21,90 Mark AUS: LEWIS TRONDHEIM: “HERRN HASES HAARSTRÄUBENDE ABENTEUER BD. 3: SLALOMS”. CARLSEN VERLAG, HAMBURG 1999 “Es geht nicht mehr darum, den Kanzler aufzuhängen”: Popdiskurs bei Lewis Trondheim.

 

In der Berliner Zeitung.

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