Das Glück der Tür

Douglas Adams hat Menschen und Dinge glücklich gemacht. Jetzt ist er gestorben. Von Holm Friebe, erschienen am 16.05.2001 in Jungle World.

Mit dem Schreiben anzufangen, sagte Douglas Adams einmal im Interview, sei an und für sich ganz leicht: “Man muss einfach so lange auf ein weißes Blatt Papier starren, bis einem die Stirn blutet.” Das sagt viel über die Arbeitsweise bzw. Nicht-Arbeitsweise des mutmaßlich erfolgreichsten Science-Fiction-Autors aller Zeiten aus, der am vergangenen Freitag im Alter von 49 Jahren in seinem Haus in Kalifornien an einem Herzinfarkt starb. Die selbstverständliche Leichtigkeit in seine komplex gebauten Bücher hineinzuschummeln, muss das Allerschwierigste gewesen sein.

Gerade mal neuneinhalb Bücher hat er seit 1979 geschrieben, dem Jahr, in dem “Per Anhalter durch die Galaxis” als Buch erschien – vorher gab es nur das Radiohörspiel – und zum Welterfolg wurde. Darunter insgesamt vier ungeplante und entsprechend qualvoll entstandene Fortsetzungen des “Anhalters”, ein Expeditionsbericht über die aussterbenden Tiergattungen dieser Welt und ein verdienstvolles Wörterbuch der alltäglichen Dinge, die bis dahin noch keinen Namen hatten, aber dringend eines bedurften. Warum ist das Schreiben lustiger Texte bloß eine solche Qual?

Wahrscheinlich war Douglas Adams mehr noch als andere im weitesten Sinne dem Humor verschriebene Künstler ein zutiefst melancholischer Mensch. Etwas davon wird jedenfalls spürbar, wenn man sich die Funktionsweise des Adamsschen Humors näher anschaut, der viel mit Verzweiflung und stets mehr mit Beckett als mit Beavis und Butthead zu tun hatte. Seine Protagonisten agieren aus einer Gelassenheit, wie sie einem nur im Angesicht des Gau zuwächst. Es sind dies die Momente, in denen sich das Misstrauen gegenüber der Komplexität technischer, bürokratischer oder psychischer Systeme noch als rettungslos naiver Optimismus erweist. Derartige Katastrophen gibt es bei ihm reichlich und in allen Ausführungen.

Das Grundmotiv von Murphy’s Law wird mannigfach durchvariiert, bis Adams seine Protagonisten da hat, wo er und wir sie haben wollen: im Zustand eines aberwitzigen Fatalismus, der kurz vor einem Nervenzusammenbruch kommt. Es ist immer dasselbe. Sogar in der Phylogenese spürt Adams diese anrührenden Unzulänglichkeiten, Momente der Selbstumzingelung, auf, etwa wenn er in “Die letzten ihrer Art” den bedauernswerten Kakapo beschreibt, dessen Brunftruf so basslastig ist, dass ihn das Weibchen zwar hören, aber nicht lokalisieren kann. Oder nehmen wir Marvin, den depressiven Roboter aus dem “Anhalter”, der zutiefst unter der Kapazität seines überdimensionierten Elektrogehirns zu leiden hat, weil er sich mit niemandem auch nur annähernd von Gleich zu Gleich unterhalten kann und deshalb seiner ganzen Umwelt auf den Wecker fällt.

Ein Satz, den Adorno einmal in einem Streitgespräch mit Arnold Gehlen fallen ließ, könnte von Marvin stammen: “Denn nichts als Verzweiflung kann uns noch retten.” Das “Grandhotel Abgrund” der Kritischen Theorie ist bei Douglas Adams “Das Restaurant am Ende des Universums”, in dem es allabendlich fröhlich dem Untergang entgegengeht.

Was für Probleme auf uns zukommen, wenn die Technik immer humanere Züge annimmt, hat Adams längst vorausgesehen: Microsofts Word-Assistent in Büroklammerform ist nur ein extrem anstrengender Wiedergänger der nervigen Automatiktür aus dem “Anhalter”, die sich für jede Nutzung bedankt. So findet sich für fast alle Probleme des Alltags, und mögen sie noch so unwahrscheinlich sein, ein passendes Zitat bei Adams. Wir erinnern uns an den genauso dummen wie gefräßigen Plapperkäfer von Thral, dem man nur entwischen kann, indem man sich ein Handtuch um den Kopf wickelt. Der Grund: Er denkt, weil man ihn nicht sehen kann, könne er einen auch nicht sehen.

Wir erinnern uns an Rob McKenna, den truckfahrenden Regengott, der nichts davon weiß, dass er ein Regengott ist, aber in seinem Wortschatz mehr Worte für Regen hat als die Eskimos für Schnee. “Alle Wolken wussten nichts anderes, als dass sie ihn liebten und in seiner Nähe sein wollten, um ihn zu streicheln und zu tränken.” Wir erinnern uns daran, dass Fliegen eigentlich keine Kunst, sondern ein frappant einfacher Trick ist, der lediglich ein wenig Praxis erfordert. “Der Trick besteht darin, dass man lernt, wie man sich auf den Boden schmeißt, aber daneben.”

Und wir erinnern uns an glückliche Lektüreerlebnisse der Jugend, bei denen die Welt um uns herum versank, um im Buch als jener trostlos sinnlose Ort wieder zu erscheinen, der sie eigentlich ist. “Es gibt eine Theorie, die besagt, wenn jemals irgendwer genau rausfindet, wozu das Universum da ist und warum es da ist, verschwindet es auf der Stelle und wird durch etwas noch Bizarreres und Unbegreiflicheres ersetzt. – Es gibt eine andere Theorie, nach der das schon passiert ist.” Geahnt hatten wir derlei ja schon immer, nur hätten wir es niemals so in Worte fassen können. Es war schließlich unsere erste Begegnung mit richtig großer Literatur.

Die unangemessene offizielle Rezeptionsgeschichte von Douglas Adams insbesondere in Deutschland ist dagegen klassisch für das Humor- oder Sci-fi-Genre und klassisch für den 2001-Vertrieb, der seine Bücher hierzulande lange Zeit exklusiv herausbrachte. Ähnlich wie bei Eckhard Henscheid lagen die Auflagen im vier- bis fünfstelligen Bereich. Dennoch wurden sie von der seriösen Kritik nie ernsthaft wahrgenommen und nie ernst genommen.

Dafür haben Adams’ Bücher Generationen von Studenten, Slackern und Nerds zu einem stringent apokalyptischen Weltbild verholfen und mit einer quasi-buddhistischen Ersatzreligion ausgestattet. Das gesamte Web atmet, so scheint es manchmal, den Geist der “Anhalter”-Trilogie. Adams selbst hat in den letzten Jahren weniger geschrieben und sich mehr der Weiterentwicklung des Internet verschrieben. Wenn man so will, stammt ja auch die Idee des Netzes als universeller Speicher für abseitiges Halbwissen von ihm.

Denn was war der allwissende Reiseführer “Per Anhalter durch die Galaxis” anderes als die Vorwegnahme des Internet auf PDA? Tatsächlich gibt es eine Umsetzung des Reiseführers im Netz. Unter www.h2g2.com erfährt man aus Korrespondentenbeiträgen alles für ein Anhalterdasein Wissenswerte – bislang jedoch nur über die Erde, aber wer weiß?

Als die Nachricht von Douglas Adams’ überraschendem Tod bekannt wurde, war es, als hielte das ganze Netz für einen Moment den Atem an. Den meisten seiner Jünger fiel in ihrer Fassungslosigkeit nicht viel mehr ein, als DNA ein freundliches “Mach’s gut und danke für den Fisch” nachzuposten. Trost spendete einzig ein anonymer Beiträger im Heise-Newsforum, das binnen kurzem vor aufrichtig verzweifelten Trauerbekundungen überquoll: “Douglas Adams ist nicht für immer tot. Nur vorübergehend. Aus steuerlichen Gründen.” Auch das natürlich ein Zitat des Meisters. Wie immer dem auch sei: Einer der Letzten seiner Art ist bis auf Weiteres von uns gegangen. Herr Adams, sie haben eine einfache Tür sehr glücklich gemacht!

In Jungle World.

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