Das neue Betriebssystem

Ein Essay über die Kunst und das Internet. Erschienen in monopol am 1. Februar 2010.

Es hat die Ökonomie umgekrempelt, den Journalismus sowieso, und ist gerade dabei, die Politik zu infiltrieren: Das Internet gilt als das “disruptive Medium” schlechthin, das die Generationen scheidet in diejenigen, die bereits vollständig im Netz sozialisiert wurden, und jene, die noch mit Assimilationsproblemen zu kämpfen haben. Nur im Feld der Kunst sind die Ausläufer des Bebens kaum zu spüren. Anders als Musikindustrie, Film und Buchbranche verfügt das Kunstsystem bereits seit langem über einen ausgeklügelten Kopierschutz per Unikate und Auflage und muss sich deshalb vor den Folgen der Digitalisierung weniger fürchten als vor der Finanzkrise. Einmal abgesehen davon, dass heute jede Galerie über eine Website verfügt und Einladungen zu Vernissagen per Email verschickt, scheinen heute weite Teile der Kunstwelt noch völlig analog zu funktionieren. Man könnte meinen, die Kunstwelt richte sich in einer Art “splendid isolation” gegenüber dem Netz ein. So als würde es, wenn schon nicht von allein wieder weggehen, sie doch nur streifen und nicht voll erwischen.

Dabei gab es mal eine Zeit, in der Kunst, Internet und Leben radikal die selbe Sprache zu sprechen versuchten; keine 5000 Tage her, und doch gefühlt weiter entfernt als, sagen wir: der Sechstagekrieg. Damals, Mitte der 1990er, wurden die karg möblierten Datenräume noch fast ausschließlich bevölkert von Wissenschaftlern, Techniknerds und philosophisch bis politisch motivierten Zukunftsaposteln, die am neuen Medium ihren Möglichkeitssinn schärften. Quer dazu lag eine künstlerische Avantgarde, die mit dem Begriff “digitale Bohème” tatsächlich einmal treffend beschrieben war. In losen Kollektiven organisiert, pflegten ihre Angehörigen einen radikal-emersiven Lebensstil, der keine Tages- und Nachtzeit und kein privates Außerhalb kannte. Wie die Merry Pranksters, die ab Mitte der 1960er in einem mit “DayGlo” angestrichenen Schulbus durch die USA kreuzten und bei ihren multimedial verstärkten “Acid Tests” die psychedelischen Bewusstseinseffekte des LSD propagierten, so empfanden sich auch die frühen Webkünstler als Vorboten eines neuen Bewusstseins. Ihre Droge war das Digitale und wurde in Form von Software und Websites verabreicht. Auch der performative Ansatz des “Prank”, eine auf die ahnungslose Öffentlichkeit gerichtete Intervention mit dem Ziel größtmöglicher Irritation, tauchte hier in Gestalt des “Hack” wieder auf.

Eine wichtige Rolle spielten Plattformen wie thing.net und rtmark.com, auf denen sich Künstler, Hacker und Aktivisten begegneten, um gemeinsame Sache zu machen. Posterboys dieses digitalen Totalkunst-Ansatz waren die Jungs (natürlich nur Jungs) vom Zürcher Kollektiv etoy, die stets uniformiert mit rasierten Schädeln und orangenen Arbeitsoveralls wie Angehörige einer frisch dem Internet entsprungen Psychosekte wirkten. Sie waren die ersten, die 1996 im Zuge ihres “Digital Hijack” arglose Nutzer der ersten Suchmaschinen auf die eigene Site umleiteten und dort festsetzten – und das ganze Kunst nannten. Solche Frühformen der net.art folgten neben dem Funfaktor dem klaren Auftrag, siegen zu helfen im Kampf gegen die mit Macht herandrängende Kommerzialisierung des Netzes. Beim New-Economy-Crash 2000 aber gingen nicht nur die Dotcoms reihenweise pleite, auch der kommerzkritisch engagierten Netzkunstszene kam mit dem Feind auch das Thema abhanden.

Als Rückzugsraum blieb die “reine” Digitalkunst, die sich in der Verlängerung der Videokunst der 1970er und 80er parallel entwickelt hatte und mit anderen elektronischen Genres zur Medienkunst verschmolzen war. Ihre Foren im deutschsprachigen Raum waren und sind bis heute die Ars Electronica in Linz und die Transmediale in Berlin, die sich mittlerweile als Festival für “Kunst und digitale Kultur” versteht.
Angelegentlich der letzten Transmediale sah sich der Bildwissenschaftler und Kunstkritiker Stefan Heidenreich in einem Aufsatz für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung allerdings zur grundlegenden Klarstellung genötigt: “Medienkunst gibt es nicht”. Kunst habe schon immer die ihr zur Verfügung stehenden Medien der Zeit genutzt; dagegen führe “das neuerliche Vertrauen in die Technologien zu einer Inflation von Banalitäten. Medienkünstler plappern technophile Slogans von der Simulation bis zum Virtuellen nach und verlieren sich in haltlosen Experimenten an Schnittstellen und Computer-Kitsch.” In verschärftem Maße gilt dieses Verdikt für die Netzkunst, die laut Heidenreich den entscheidenden technisch-kulturellen Innovationen im Internet hinterherhinkt. Sein Fazit: “So verliert die Medienkunst an beiden Seiten. Weder prägt sie die Kultur der Medien und noch erlangt sie innerhalb der Kunstwelt eine Position von Bedeutung. Um es drastisch zu sagen: viel kreative Energie wurde dafür verschwendet, Kunst mit den Medien zu versöhnen, während man anderswo das Netz als Programm und Ökonomie real verwirklichte.”

Dem könnte man beipflichten, das Thema damit als erledigt betrachten und die Akte schließen. Wenn, ja, wenn nicht genau diese Weiterentwicklung des Netzes als Programm und Ökonomie eine so nachhaltig veränderte Diskurslandschaft hervorgebracht hätte, dass es sich schon noch einmal genauer hinzuschauen lohnt. Was seit etwa 2005 unter dem Stichwort Web 2.0 verhandelt wird – vereinfacht übersetzt als “Mitmach-Internet” – markiert einen derartigen Strukturwandel der Öffentlichkeit, dass seine Auswirkungen nicht auf das Netz allein beschränkt bleiben, sondern über den Umweg der Gesellschaft auch die Kunst betreffen. Das heißt: die Konditionen, zu denen Kunst entsteht, nebst der allgemeineren Frage, was eigentlich heute genau Kunst ist und wer das definiert. Das Zauberwort in diesem Zusammenhang heißt “Demokratisierung” und berührt einen empfindlichen Punkt, nicht nur im System Kunst sonder überall dort, wo Expertenkulturen am Werk sind, die potentiell ihre Felle davon schwimmen sehen. Auf vielen Feldern haben die neuen Partizipationsmöglichkeiten des Netzes die Eintrittsbarrieren gesenkt, Nadelöhre der Information und Flaschenhälse der Distribution beseitigt und einst allmächtige Türsteher entmachtet.

An der Beurteilung dieses Phänomens scheiden sich die Geister in die bekannten Lager Euphoriker und Apokalyptiker: Während Autoren wie Charles Leadbeater (“The Pro-Am Revolution”) die Heraufkunft des professionellen Amateurs – oder kurz: Pro-Am – emphatisch begrüßen als segensreich und heilstiftend, warnen andere wie Andrew Keen (“The Cult of the Amateur”) vor der Verflachung der Kultur und den endlosen Meeren der Mittelmäßigkeit, die durch das Herandrängen entfesselter Nicht-Profis im Web entstünden. Die salomonische Kompromissformel besteht wohl in der von WIRED-Chefredakteur Chris Anderson ins Spiel gebrachten “Long Tail”-Kurve. Die besagt, dass für die Märkte der Kulturgüter in Zukunft das lange, flache Ende der Nachfragekurve, wo die unendlich vielen Nischenprodukte und Ladenhüter angesiedelt sind, nicht nur ökonomisch interessanter sein wird als das vordere Ende mit den Hits und Schnelldrehern. Das Internet mache diese Vielfalt, die im stationären Handel nicht angeboten wurde, weil sie sich nicht rechnete, überhaupt erst navigierbar und verfügbar. Auch der Massengeschmack werde sich dadurch pluralisieren, dass die Nischen besser erforschbar würden, was die Kultur insgesamt verändere: “Wenn die Unterhaltungsindustrie des 20. Jahrhunderts auf die Hits fixiert war, werden es im 21. die Nischen sein.”

Nun könnte man den Kunstmarkt immer schon als einen prototypischen Long-Tail-Markt beschreiben, mit wenigen hochbezahlten Stars und dem unübersehbaren Rattenschwanz eines hochdifferenzierten Angebotes. Zwar lässt sich auch hier beobachten, dass sich die Lücken schließen und zwischen High-End-Segment und Dekoware ein durchgängiges Kontinuum entsteht. Editionen und Drucke von Gursky bis Murakami werden auf Ebay gehandelt. Lumas bringt gefällige Fotokunst in limitierter Auflage in die Wohnzimmer. Bei whitewall.com können Profis wie Amateure ihre Fotografien als “erschwingliche Editionen” einstellen, “jedes Werk jurygeprüft und mit signiertem Zertifikat.” Und auf etsy.com und dawanda.com, den boomenden Marktplätzen für Hand- und Selbstgemachtes, finden sich neben allerlei Kunsthandwerklichem auch Gemälde und Aquarelle, zumeist dekorativ-gegenständlich und im zwei- bis dreistelligen Preissegment.

Für die Kunstwelt im engeren Sinne aber ist all das natürlich der ultimative Horror. Professionelle Amateure werden nicht gern gesehen, wo es darum geht, als Künstler-Persona für das eigene Werk einzustehen, ohne nebenher Kellnern zu müssen. Die Unterscheidung in Kunst vs. Kunsthandwerk taugt immer noch zur despektierlichen Distinktion. Und die Idee der Demokratisierung taucht in der Geschichte der Avantgarden des 20. Jahrhunderts zwar regelmäßig auf, hat das System aber nicht ändern können – es geht weiterhin stets und gerade darum, Kunstsachverstand und erlesenen Geschmack gegen die Masse zu behaupten. Wenn überhaupt, dann konnte man sich dem Konzept einer Kunst für alle ironisch nähern, so wie Vitaly Komar und Alex Melamid, die 1995 in ihrem Projekt “The Most Wanted Painting” mittels umfangreicher Befragungen in mehreren Ländern und im Web das jeweils meistgewünschte und unbeliebteste Gemälde ermittelten und anschließend umsetzten. Neben der Lieblingsfarbe und der gewünschten Größe enthielt ihr Umfragebogen auch detaillierte Fragen nach der Ausführungstechnik (“expressive Pinselstriche oder glatte Leinwand?”), den Themen (“religiös oder nicht-religiös”), den Figuren (“Kinder, Männer oder Frauen?”) und deren Kleidung (“nakt, leicht bekleidet oder angezogen?”). Die Resultate, zu besichtigen auf der Website des Dia Center of the Arts (diaart.org/km), entsprechen den Erwartungen – nur Holland sticht mit einer vergleichsweise avancierten Vorliebe für abstrakte Farbflächen heraus – und erinnern an romantisch angehauchte Kitschkunst, wie man sie aus Baumärkten kennt.

Von daher ist es wenig überraschend, dass die Spanische Wand zwischen Kunstbetrieb und Web 2.0 bislang nur wenige Löcher aufweist. Der einzige, der den Kunst-Long-Tail herzlich umarmt, wie er sich auch sonst nie groß um Konventionen geschert hat, ist Charles Saatchi. Seit 2006 betreibt der Kunst-Magnat unter seiner Web-Repräsentanz die Plattform “Your Gallery” (www.saatchi-gallery.co.uk/yourgallery), auf der Künstler aus aller Welt unentgeltlich einen Ausschnitt ihres Portfolios präsentieren und Werke direkt und kommissionsfrei an Sammler verkaufen können. In “Showdown” genannten K.O.-Contests treten einzelne Werke zudem rundenweise gegeneinander an; man kann mit den Urhebern chatten, wenn sie gerade online sind und man selbst registriert ist. Erklärtes Ziel ist, für die Kunst etwas ähnliches zu schaffen wie es MySpace für die Musik darstellt. Aus der Masse der angeblich 120.000 Künstler und Kunststudenten sind allerdings noch keine Arctic Monkeys oder Lilly Allen der Kunstwelt hervorgegangen. Dennoch ist es durchaus kurzweilig und inspirierend, sich durch das im besten Sinne gemischte Angebot zu klicken. Für die zum Kauf stehende Flachware werden mitunter vierstellige Preise aufgerufen. Saatchi gibt an, dass über die Plattform jährlich Werke im Wert von 130 Millionen Dollar verkauft werden. Gut möglich, dass hier tatsächlich ein neuer Kanal jenseits von Auktionen und Galerien entsteht, der vor allem für den marktorientierten Nachwuchs interessant sein könnte.

Etablierte Namen wird man dort vergeblich suchen. Anders als die Kollegen aus Popmusik und Film – Ashton Kutscher mit über 4 Millionen Followern auf Twitter – halten sich die Stars der Kunstwelt auch sonst eher bedeckt, was das Live- und Mitmach-Web angeht. Einer der wenigen Megastars, die überhaupt twittern, ist Gerhard Richter (twitter.com/gerhardrichter). Allerdings sind seine Tweets Bestandteil eines professionell gemanagten Web-Auftritts und dementsprechend unpersönlich. Nicht unwahrscheinlich, dass es sich bei der “Truisms” postenden Jenny Holzer mit über 13.000 Followern (twitter.com/jennyholzer) um die echte handelt; die ausgewiesenen Parodien “fakejennyholzer”, “alsojennyholzer” und “notjennyholzer” fallen jedenfalls deutlich dagegen ab. Der twitternde Roman Opalka (twitter.com/roman_opalka) wirft einige Zweifel an seiner Authentizität auf, obwohl er nichts anderes tut als das Original, nämlich hochzählen.

Auch bei Facebook ist den großen Namen mit Vorsicht zu begegnen. Unter den weltweit über 350 Millionen Mitgliedern tummeln sich zahllose Untote, neben Brecht, Derrida und Foucault auch Francis Bacon und Joseph Beuys. An deren Pinnwänden spielt sich alles ab vom Spam bis zur angeregten Andenkenpflege. Vertrackter wird es bei den noch lebenden Künstlern, die neben ihren Fanseiten auch als Online-Persona auftauchen, und sei es bloß als Namensvettern. Der Medienkünstler Christian Jankowski ist so ein Fall. Obwohl das Geburtsdatum nicht übereinstimmt und der profilbildlose Facebook-Jankowski kaum Aktivitäten entfaltet, außer irgendwann der Gruppe “Erhalt der Frankfurter Märktekultur” beigetreten und seit 20. November 2009 “in einer Beziehung” zu sein, versammelt er zahllose Akteure des Kunstbetriebs wie Michaela Melian und Thomas Eller als Freunde – und lockt darüber weitere an. Auf Nachfrage gibt der echte Christian Jankowski an, nichts mit dem Account zu tun zu haben. Aber kann man sich da wirklich sicher sein? Und funktioniert dieser Maskenball nicht vielleicht auch ohne gesicherte Identitäten?

Zum eigentlichen Medium der Kunst ist Facebook aber denkbar schlecht geeignet. Dazu ist alles zu stark prä- und durchformiert und mit zu wenig Freiheitsgraden ausgestattet. Durch die Default-Tonalität der harmlosen Nettigkeiten (“3 Personen gefällt das.”) in Kombination mit dem zweckmäßig reduzierten Layout scheint sich die Plattform der künstlerischen Aneignung und Zweckentfremdung hartnäckig zu widersetzen. Die Gruppe “ARTISTS USING FACEBOOK, MYSPACE or TWITTER FOR AN ART PROJECT” wird mit kunstfremden Ankündigungen zugespammt und enthält wenig Sachdienliches. Die Idee der Initiatoren, dass diese Plattformen so etwas wie “soziales Graffitti” hervorbrächten, zündet nicht.

Am ehesten scheint Facebook noch als Inspirationsquelle für analoge Offline-Kunst zu taugen. Die Ausstellung “Status Update”, die im vergangenen Sommer im Arts Council of Greater New Haven stattfand, versammelte immerhin 50 Positionen von Künstlern, die entweder Facebook selbst als Medium benutzen, oder deren Arbeiten davon handeln, wie soziale Netzwerke unser aller Leben verändern. Die Künstlerin Rachel Perry Welty beispielsweise postete 16 Stunden lang jede Minute eine neue Statusmeldung von ihrem iPhone. Für einiges Echo sorgte der New Yorker Künstler Matt Held, der Profilbilder von Facebook-Usern auf Leinwand nachmalt. Die Facebook-Gruppe „I´ll have my Facebook portrait painted by Matt Held“ zählt inzwischen über 10.000 Aspiranten für eine Konservierung in Öl. In der Zusammenschau erzählen die rund hundert fertiggestellten Portraits, die man sich unter heldstudios.com anschauen kann, einiges über diesen seltsamen halböffentlichen Ort und wie sich Menschen dafür in Szene setzen.

So wenig sich Facebook aber als künstlerisches Werkzeug andient, so sehr ist Facebook dabei, zum eigentlichen Betriebssystem des Kunstbetriebs zu werden, über das sich das Netzwerk- und Schwarmverhalten koordiniert: Wer mit wem? Wer wird auf welche VIP-Veranstaltung eingeladen? Und wer geht tatsächlich hin? Demnach ist Facebook nicht nur der Ort, wo Privates und Öffentliches verschmelzen, sondern vor allem Privates und Professionelles. Wer real gut vernetzt ist, dehnt sein Netzwerk hierher aus und erweitert es virtuell. Facebook dient dabei jedoch nicht nur der Inklusion, sondern ebenso sehr der Exklusion, indem die Firewall der Privacy hochgefahren und der Freundeskreis handverlesen selektiert wird. Anders als Terence Koh reagiert etwa Jonathan Meese, der dem Autor seit längerem als Kontakt vorgeschlagen wird (anscheinend gibt es gemeinsame Bekannte), überhaupt nicht auf die Freundschaftsanfrage und lässt auch sonst nur “bestimmte Informationen”, nämlich gar keine, öffentlich anzeigen. Facebook wird so immer mehr zu einer Art individuell zugeschnittenem Intranet des Kunstbetriebs. Das Wesentliche bleibt für die Außenwelt und damit für die kunstsoziologische Untersuchung unbeobachtbar. Eine interessante Ausnahme – und gleichzeitige Bestätigung der These – bildet ein exklusiver “inner circle” bestehend aus Gavin Turk, Richard Serra, Anish Kapor, Jeff Koons, Louise Bourgeoise, Martin Creed, Mark Wallinger, Jeff Koons, Damian Hirst, Kara Walker und dem unvermeidlichen Charles Saatchi, die alle nur untereinander befreundet sind und mit einem gewissen Nodir Kodirov, der seinerseits über 770 weitere Freunde verfügt. Hat er vielleicht diesen hermetischen Zirkel initiiert? Wir wissen es nicht und werden es wohl nicht erfahren.

Die eigentlich spannenden formalen Innovationen im Web finden währenddessen andernorts statt oder zumindest ihren Niederschlag: auf Youtube, Vimeo und den anderen Videoplattformen, wo das Schräge und Spektakuläre zu ihrem Recht kommen. Dort dokumentiert findet man etwa die temporären Installationen von Koki Tanaka (kktnk.com), die den “Lauf der Dinge” von Fischli und Weiss mit Erwin Wurms “One Minute Sculptures” zu meditativem Minuten-Nonsens kreuzen. Oder man stößt auf ein spektakuläres Crossover aus DJ-Sampling und Konzeptkunst, wie es die aus Amateurmusiker-Videos auf Youtupe komponierten Tracks von Ophir Kutie alias Kutiman darstellen (thru-you.com). Man ist sich nicht sicher ob es im engeren Sinne Kunst ist, andererseits wüsste man mit Peter Roehr auch nicht, was es sonst sein könnte. Und vielleicht wird diese Frage auch einfach unerheblich an der Stelle, wo ein neuer Typus von Internet-Gesamtkünstler entsteht, der eine direkte Verbindung zu seinem Publikum unterhält und die Vertriebskanäle selbst kontrolliert.

Die Verflüssigung, die durch den Siegeszug des Sozialmediums Internet in die Welt gekommen ist, betrifft vor allem auch die Grenzen von Genres und Disziplinen; von daher wäre es genau verkehrt, hier bereits wieder ein neues Genre dingfest machen zu wollen oder gar eine Renaissance der Netzkunst auszurufen. Die Netzkunst gibt es nicht. Aber die Art und Weise, wie in zehn, zwanzig Jahren über Kunst gesprochen und gedacht wird, welche Sorte Kunst und welche Künstler in 5000 Tagen hoch gehandelt werden, könnte stärker mit dem Internet zu tun haben, als wir uns das heute träumen lassen.

 

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