Demokratisierung des Himmels

Von Holm Friebe, erschienen am 16.05.2003 in der Berliner Zeitung.

Die Welt der Inlandsflüge war lange Zeit eine hermetische, die nur von einer bestimmten Spezies bevölkert wurde: nicht repräsentativ für die Bevölkerung, nicht mal für die Geschäftswelt. Es war nicht die Welt der erbarmungswürdigen Spesenritter, die sich schlaflose Nächte in schäbigen Vertreterhotels um die Ohren schlagen, um am nächsten Tag erneut den Firmenkombi zu besteigen. Es war die Welt derer, die morgens zu einem Meeting oder einem Kundentermin aufbrechen, um am selben Abend noch erschöpft, ausgepowert und trockenen Fußes zu Frau und Kindern zurückzukehren – “Home and dry”, wie die Pet Shop Boys dieses eigentümliche Transferwesen und das damit einhergehende Lebensgefühl in der gleichnamigen tragisch-schönen Yuppiehymne besangen. Es war die Welt der stilvoll in Graustufen uniformierten Fortschrittsgeschwader, deren Leben sich nur hinter getönten Scheiben und in Räumen mit Airconditioning abzuspielen schien; in einer Wolke aus dezentem Luxus, wohl temperiertem Understatement und respektvoller Höflichkeit, wo einzig der doppelte Latte macchiato am Morgen und die Freude über das generierte Auftragsvolumen am Nachmittag etwas Herzrasen zu stiften vermochten. Und die Architektur und Atmosphäre in den Inlandterminals spiegelten diese routinierte Coolness wieder. So selten ich selbst das Privileg genoss, einen Inlandsflug von einem generösen Auftraggeber spendiert zu bekommen, so sehr faszinierte mich immer jenes technokratisch reduzierte Nirwana, das hinter der Sicherheitsschleuse begann. Mich faszinierten, nebenbei bemerkt, auch die Sicherheitsschleusen. Wenn ein Sicherheitsbeamter mit seiner Magnetspule wie ein routinierter Geistheiler bei einem magischen Beschwörungsritual zügig und sachkundig Vorder- und Rückseite des Körpers abfährt und damit Sphärenklänge wie aus einem paläontologischen Synthesizer verursacht, laufen mir wohlige Schauer den Rücken herunter. Womöglich ist das ja eine Form homöopathischer Homoerotik, die gut zur dosierten Atmosphäre des Ortes passt. Immer noch lasse ich absichtlich Metallgegenstände in den Hosentaschen, um der Sonderbehandlung teilhaftig zu werden. Seit dem 11. September sind die Sicherheitskontrollen schärfer geworden und haben das Spielerische eingebüßt. Neuerdings muss man selbst die Nagelschere, unverzichtbares Accessoire jedes Geschäftsreisenden, in einer Plastiktüte verpackt als Sondergepäck einchecken und anschießend vom Gepäcklaufband aufsammeln, was ziemlich albern ist. Aber noch etwas anderes hat sich verändert. Seit die Billigfluglinien auch Strecken innerhalb Deutschlands bedienen, sind die Inlandterminals nicht mehr das, was sie mal waren. Seitdem man billiger von Berlin nach Köln fliegt als mit der Bahn fährt, ist die heile Businesswelt unrettbar versunken, wird ihre ökologische Nische von Normalreisenden wie mir unterwandert. Man könnte von einer Demokratisierung des Luxus sprechen, der ja bekanntlich immer nur in dem besteht, was andere noch nicht haben. In der “Neidgesellschaft”, wie der Philosoph Sloterdijk die unsrige auf den Begriff bringt, ist dieser Prozess anscheinend nicht aufzuhalten. Es drängt sich die Parallele zum Lachs auf, der wie Wolfram Siebeck einmal schrieb, vom Feinschmeckerfisch “zum Prolo herabgesunken” ist – mit den entsprechenden Konsequenzen für die Qualität. Einen kurzen Moment lang, irgendwo im Luftraum über Braunschweig, stelle ich mir die Flugzeuge der traditionsreichen Airlines als archetypische und kerngesunde Wildlachse vor, die am Himmel einsam und frei ihre Bahnen ziehen, die der Billigflieger dagegen als degenerierte und medikamentös gemästete Zuchtfische, die sich in einem viel zu engen Becken bzw. Luftraum tummeln. Aber das ist natürlich Unfug. Tatsächlich bestehen auch die Flotten der Low-Budget-Carrier zumeist aus handelsüblichen Boeing 737, nur unwesentlich älter als die angestammter Fluglinien. Auch sonst lässt sich gegen die Demokratisierung des Himmels – außer vielleicht von ökologischer Warte aus – nicht wirklich viel vorbringen. Der Tomatensaft und das Flugzeugessen, das auf Inlandflügen ohnehin nur aus einem pappigen Brötchen bestand – geschenkt! Hinter uns liegen die Ruinen einer weiteren geschleiften Luxusbastion; vor uns liegt der Landeanflug auf Köln/Bonn. Bitte alle elektronischen Geräte ausschalten.

In der Berliner Zeitung.

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