Der Tausendsassa

Von Holm Friebe, erschienen am 18.11.2002 in der Berliner Zeitung.

Klaus Lages Ohrwurm “Tausendmal berührt” war sein größter kommerzieller Erfolg. Damit machte der Schlagertexter Diether Dehm seine erste Million, von der er sich einen Porsche kaufte. Aber das Geldverdienen war dem promovierten Philosophen stets nur Bedingung einer übergeordneten Mission. Schon als es die DDR noch gab und Dr. Dehm noch für die SPD im Frankfurter Stadtrat saß, schwärmte er von einer “antimonopolistischen Kulturarbeit” und strebte “die Brechung der kulturellen Hegemonie der bürgerlich-affirmativen Trivialästhetik” an. Die Chancen, diagnostizierte er im Sommer 1989, stünden nicht schlecht, denn “der gesamte Antikommunismus bricht gerade zusammen”. Dass es genau umgekehrt kam, hat Dehm, mittlerweile Parteivize am linken Flügel der PDS, nicht von seiner Berufung abbringen können. Am vergangenen Sonnabend wurde sein Theaterstück “Milchmädchenreport” im Pavillon des Berliner Ensembles aufgeführt, annonciert als “pornographischer Schwank über äußere und innere Werte”. Der Titel versteht sich als Kombination aus “Milchmädchenhausse” (so wird an der Börse die Boomphase genannt, unmittelbar bevor es den Kleinanlegern an den Kragen geht) und “Schulmädchenreport” (Softpornos aus den 70ern). Mit anderen Worten: Sex und Ökonomie! Das durfte sich die hedonistisch-materialistische Linke nicht entgehen lassen. Neben Sarah Wagenknecht, die sich hinterher der Publikumsdiskussion stellte, saß auch Parteichefin Gabi Zimmer im Publikum, das ansonsten demographisch und optisch die Zusammensetzung der PDS nachahmte und sich wohl auch größtenteils aus ihren Anhängern rekrutierte. Sozialrealistisches Setting des Stückes: Ein rauschendes Fest der Medienbranche, bei dem sich die laut Programmzettel “lesbische Poptexterin” und “geachtete Tausendsassa” (sic!) Michaela Sarkow, ihre Musikverlegerin und deren Mann in eine Koje absentiert haben. Per Teichoskopie werden die neuesten Promi-Gossips hereingereicht. Im Schattenriss halten unschwer zu identifizieren der Bundeskanzler und sein Superminister bigotte Ansprachen. Im Anschluss an das Stück wird Dehm erklären, dass die Aufrechterhaltung der staatsmonopolkapitalistischen Machtverhältnisse nur funktioniere, weil sie durch eine kulturpolitische Kaste korrumpierter Medienschaffender gedeckt werden, die als ehemalige Linke “mutiert hätten”. So weit zur hinterlegten Theorie. In der Praxis des Stückes erzählt Michaela, wie sie in Havanna mit einer kubanischen Sängerin mit Nierenleiden eine Liebesbeziehung zunächst gegen Geld begonnen habe. Um ihr eine Operation zu finanzieren, habe sie dann zurück in Deutschland mit Aktien spekuliert, dabei all ihr Geld in den Sand gesetzt. Nun hoffe sie auf die nächste US-Intervention, damit ihre Rüstungsaktien wieder steigen, und könne im Übrigen deshalb keine Texte mehr schreiben. Dazu wird aus ihrem Tagebuch vorgelesen, in dem Sätze stehen wie “Ihre Nase triefte, als ich sie in meine Fotze ziehe”. Eigentliches Thema des Stückes, das merkt man rasch, ist sowieso Autor Dehm selbst. Wenn Poptexterin Michaela Sätze äußert wie: “Es hat schon Heinrich Heine und Billy Wilder Nerven gekostet, die Dinge von Niveau so klein und leicht zu machen, dass man sie gern kommuniziert”, hört man daraus den mühsam kaschierten O-Ton des verkannten Dichtergenies. Wenn die Verlegerin ihre Anmache abwehrt mit: “Es bringt nichts, Michaela, bei einer Frau bleibe ich trocken wie ein Seidentuch”, erinnert das an Dehms unschlagbar ragende Metapher “Das Telefon schwieg wie gefrorenes Holz”. Und wenn Dehm dann noch mehrmals persönlich und kostümiert mit rotem Schumi-Basecap, Hasenzähnen und einem Hornknopf-Janker auf die Bühne springt, mit selbst erdachten Schunkelliedern gleichzeitig Heinz Schenk und die Gutmenschen zu parodieren – dann ahnen wir, dass die Reintegration der beiden gesellschaftlich ausdifferenzierten Subsysteme Unterhaltungsbranche und linksradikales Spektrum nur in einer so schillernden Person wie Diether Dehm statthaben kann. Dagegen wirkte in der anschließenden Diskussion, die sehr schnell um so unsexy Themen wie die Riester-Rente kreiste, um dann vollends ins Kulturpessimistische abzurutschen, selbst die kluge und kompetente Sarah Wagenknecht wie ein gefrorenes Seidentuch.

In der Berliner Zeitung.

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