Der Zeitgeist ist zurück

Die achtziger Jahre und Tempo. Von Holm Friebe, erschienen am 8. Dezember 2004 in Jungle World.

 

“Zeitgeist” ist – anders als etwa “Angst”, “Blitzkrieg” und “Gesamtkunstwerk” – einer der wenigen wirklich schönen Germanizismen im angelsächsischen Sprachraum. So wie “Leitmotif”, das schon dadurch zu gefallen vermag, dass aus für immer unerfindlichen Gründen auf halber Strecke irgendwo über den endlosen Wassermassen des Atlantik oder des Ärmelkanals aus dem V ein F wurde. Gesprochen wird es übrigens “Sseitgeist”, und man kann sich sehr gut vorstellen, dass es in den Dreißigern von jüdischen Emigranten mit nach New York gebracht wurde, die gerade dem prekären Zeitgeist ihrer ehemaligen Heimat entronnen waren. Interessant ist, dass die Amerikaner als Trendsetter-Nation par excellence auf ein deutsches Konzept zurückgreifen, um jenes schwer fassbare massenpsychologische Fluidum der veränderlichen Moden und Einstellungsmuster auf den Begriff zu bringen.

 

Anders als dem durch und durch aufklärerisch gesinnten Hegelschen Weltgeist haftet dem Zeitgeist etwas zutiefst Irrationales und Zwangskollektivistisches an. Für Amerikaner dürfte sich gerade diese Ambiguität im herb Germanischen und Gravitätischen des Wortes vermitteln – im Gegensatz etwa zum sinnverwandten und gänzlich geheimnislosen “Lifestyle”. Kürzlich haben selbst die Betreiber der Internetsuchmaschine Google das Konzept aufgegriffen und eine gleichnamige Serviceseite eingerichtet, die das wabernde Kontinuum per Ranking der häufigsten Suchabfragen basisdemokratisch runternagelt. Unter www.google.de/intl/de/press/zeitgeist.html erfährt man so, dass bei den “female celebrities” immer noch Madonna vor Paris Hilton rangiert und also der Zeitgeist noch nicht komplett verblödet sein kann.

 

Ganz anders sieht es im Ursprungsland Deutschland aus, in das der Begriff vor gut 20 Jahren, einmal durch den angloamerikanischen Fleischwolf gedreht, zurückschwappte, ähnlich wie heute Starbucks die Kaffeehauskultur nach Europa reimportiert. Zeitgeist im Deutschen – das klingt hart und scharf nach den frühen achtziger Jahren, nach der Ästhetik von Modern Talking-Covern, auf denen spitze Pyramiden und verspiegelte Kugeln auf einer sich im Endlosen verlierenden Rasterfläche angeordnet sind, nach einem Wetgel namens “Young Style”, in das kleine Glitzerpartikel eingeschlossen sind. In Deutschland waren die Achtziger das Jahrzehnt des Zeitgeistes, und die Zeitschrift Tempo war sein Organ.

 

War die Mentalitäsgeschichte bis dahin ein langer ruhiger Fluss gewesen, unterbrochen nur durch gelegentliche schleichende Verirrungen des Zeitgeistes, änderte sich dieser nun im Minutentakt. “Werden wir alle Japaner?” lautete so ein hysterisch-reißerischer Tempo-Titel. Bei allem Guten, das die Zeitschrift in die Welt gebracht haben mag, kann man ihr attestieren, dass sie den Begriff und die Idee des “Zeitgeistes” gründlich überstrapaziert und damit desavouiert hat. Den Rest besorgte dann ihr langjähriger Redakteur Matthias Horx, der auszog und das Trendbüro gründete, das bis heute Zeitgeist in beliebiger Zusammensetzung am Stück und in Scheiben feilbietet. Jetzt kündigte der Jahreszeiten-Verlag eine Rückkehr von Tempo an. Die Zeit sei reif für eine Neuauflage des Zeitgeistjournalismus.

 

Anscheinend ist das Achtziger-Revival doch noch nicht vorbei.

 

In Jungle World.

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