Die ironische Firma

Ein Essay über ironische Firmen, Geldverbrennung und Weltrevolution. Erschienen am 30. Mai 2005 in Literatur konkret Nr. 30.

Kann es so etwas wie eine ironische Firma geben? Wirtschaft ist eine ernste Angelegenheit, genau wie Sex oder die Religion. Walter Benjamin vertrat sogar die Ansicht, dass der Kapitalismus eine Religion sei, denn “der Kapitalismus dient essentiell der Befriedigung der selben Sorgen, Qualen, Unruhen, auf die ehemals die sogenannten Religionen Antwort gaben.“ Und eine ironische Religion ist genauso wenig vorstellbar wie ironischer Sex, bzw. “ein ironischer Orgasmus“ – ein Widerspruch, auf den Robert Gernhardt in einer seiner Erzählungen aufmerksam gemacht hat, die seitenlang minutiös den inneren Monolog während eines Geschlechtsakts wiedergibt.

“Beim Geld hört der Spaß auf“ lautet ein erfolgreiches Mem, das sich seit Generationen hartnäckig fortpflanzt. Dass Banker und Buchhalter über keinerlei Humor verfügen, ist hinlänglich bekannt, aber auch in Branchen, die sich äußerlich legerer geben, wird man auf kompromisslosen, bleiernen Ernst stoßen, wenn es um das Selbstverständnis als Wirtschaftssubjekt geht. Die eigene Branche, die eigene Arbeit oder gar die eigene Firma nicht hundertprozentig ernst zu nehmen, ist eines der letzten Tabus, das die ansonsten permissive Gesellschaft errichtet hat. Was uns Mitmenschen im Privaten sympathisch erscheinen lässt, die Befähigung zur Ironie und zur gesunden Selbstdistanz, ist auf institutioneller Ebene des Unternehmens und seiner Mitarbeiter ein Ding der Unmöglichkeit. Der Literaturwissenschaftler Richard Rorty entwirft in “Kontingenz, Ironie und Solidarität“ die “liberalen Ironiker“ als erstrebenswertes Idealbild des heutigen Intellektuellen und versteht darunter Personen, “nie ganz dazu in der Lage, sich selbst ernst zu nehmen, weil immer dessen gewahr, dass die Begriffe, in denen sie sich selbst beschreiben, Veränderungen unterliegen; immer im Bewusstsein der Kontingenz und Hinfälligkeit ihrer abschließenden Vokabulare, also auch ihres eigenen Selbst.“ Im öffentlichen Auftreten von Firmen, in der Sprache, mit der sie kommunizieren, und im Vokabular, mit dem sie sich selbst beschreiben, wird man diese eingebaute Distanz vergeblich suchen. Unabhängig davon, wie Mitarbeiter real über ihren Betrieb denken mögen, gilt im Auftreten nach außen das Dogma des Ernstes. Jeder, der es verletzt, wird aus dem Wirtschaftskreislauf ausgeschlossen, genau wie die katholische Kirche diejenigen Mitglieder und Splittergruppen exkommuniziert, die es wagen, öffentlich ihre Dogmen anzufeinden.

 

Dennoch geht vom Konzept der ironischen Firma eine gewisse Faszination aus. In den unübersichtlichen Grenzregionen von Ökonomie, Konzeptkunst und politischem Aktivismus gab es immer mal wieder theoretische Erörterungen und reale Durchführungen von Unternehmungen, die durchaus das Prädikat der ironischen Firma für sich beanspruchen können. Ebenso unterschiedlich wie Ausrichtung und Zielsetzung fiel auch der kommerzielle Erfolg im Einzelfall aus. Oft war es erklärtes Ziel des Vorhabens, eben diesen zu vermeiden, was sich im Einzelfall als gar nicht so einfach erwies. Immer ging es darum, experimentell ein paar der Axiome zu lockern, die nach allgemeinem Vorverständnis die Grundlagen rationalen ökonomischen Verhaltens bilden. Eine umfassende Geschichtsschreibung der ironischen Firmen steht noch aus. Hier eine unvollständige Liste einiger Einträge, die darin auf keinen Fall fehlen dürften:

  • In seinen 1972 unter dem Titel “Siegfried“ veröffentlichten Memoiren berichtet der ehemalige März- und Olympia Press-Verleger Jörg Schröder über ein Projekt, das den krönenden Schlussstein seines mit dem Import pornografischer Literatur nach Deutschland finanzierten Verlagsimperiums hätte bilden sollen: “eine Art Kreativagentur ohne Zielsetzung, eine kryptische Agentur: Bismarc Media.“ Für diese Zwecke wird eine repräsentative Etage über den Räumen der beiden Verlage in der Frankfurter Schwindstraße angemietet. Schröder erinnert sich: “Meine ehemaligen Mitverschwörer ärgerten sich am meisten, weil sie nicht wussten, was ich mit der Bismarc Media machen wollte. Dabei wusste ich das doch selber nicht, denn das war ja der Zweck der Bismarc, dass ihre Zielsetzung nicht definiert werden sollte. Aber nun erklär mal etwas, das sofort im Eimer ist, wenn man es erklären kann.“ Obwohl die Bismarc Media im Mai 1970 den Betrieb aufnimmt, scheitert das Unternehmen alsbald am Unverständnis der designierten Mitarbeiter, die sich mit der erklärten Ziellosigkeit des Vorhabens nicht arrangieren können. Das Projekt wird kurz darauf wieder eingestellt. Schröder rekapituliert: “Mit der Bismarc hatte ich, in meinem Hinterkopf, eine Vorstellung (und hab sie immer noch): Eine Agentur, die jedes Zieldenken aufhebt, die jede Leistungsarbeit aufhebt, eine Agentur, die, nach derzeitigen kommerziellen Überzeugungen, einfach nichts leistet. Es war aus verschiedenen Gründen nicht zu machen.“
  • Die radikalste Praxis auf diesem Feld lieferten wohl die Briten Bill Drummond und Jimm Cauty. 1987 gründeten sie als Punk-sozialisierte Endzwanziger die Band “KLF“, was für “Kopyright Liberation Front“ stand, und führten das Sampling in die damals entstehende Housemusik ein. Ihr erster Hit basierte auf dem Abba-Song “Dancing Queen“, was zu einer einstweiligen Vefügung und konsequenten Verbrennung der beschlagnahmten Schwedischen Gesamtauflage in Stockholm führte. 1988 kündigten sie an, einen Nummer-1-Hit zu landen, benannten sich um in “The Timelords“ und erfüllten ihr Versprechen mit dem cheesy Dancehit “Doctorin’ the Tardis“. Darauf erschien ihr Handbuch “The Manual (How To Have A Number One The Easy Way)“, das eine idiotensichere Anleitung zum Schreiben eines Charthits verhieß, andernfalls man das Geld für das Buch zurückbekäme. Der östereichischen Formation “Edelweiss“ gelang es durch akribisches Befolgen der Anleitung, über 2 Millionen Stück der Single “Bring Me Edelweiss“ zu verkaufen. Weitere Nummer-1-Hits folgten und the KLF waren der erfolgreichste britische Act jener Tage. Am 23. August 1994 machten sich Drummond und Cauty zur Insel Jura auf, um dort in der Nähe des Dorfes Ardfin in einer nächtlichen Aktion vor einem kleinen und äußerst skeptischen Publikum eine Million britische Pfund in kleinen Scheinen zu verbrennen; es dauerte über eine Stunde, die Bündel aufzuschichten und abzufackeln. Einige Noten verbrannten dennoch nicht und wurden Tags darauf von einem Inselbewohner gefunden und zur Polizei gebracht. Die verfolgte anhand der Seriennummer der insgesamt 1500 Pfund die Spur zu Drummond zurück, der jedoch die Annahme verweigerte. Die Asche halbverkohlter Scheine im Wert von 81.000 Pfund Drummond und Corty mit und ließen sie schließlich von einem Ziegelbrenner in Chesham in Ziegelsteine brennen. Den Grund dafür wollten sie 23 Jahre später offen legen. Bei der Verleihung der Brit Awards im darauffolgenden Jahr verkündeten sie “The KLF have left the music business“, und zogen sich aus der Öffentlichkeit zurück. Drummond und Cauty haben verabredet, nie über die Million zu reden. In einem Interview im Jahr 2000 gesteht Drummond dann aber doch: “Es ging nicht darum, alles Geld zu verbrennen. Es ging nicht darum, es sich von der Seele zu schaffen. In diesem Kontext war eine Million viel mehr als zwei Millionen. Eine Million ist eine Ikone. Sie ist das, worüber wir reden, wovon wir träumen. Sie hat die Macht.“ Ob er es seither jemals bereut hätte? “Nein.“ Ob er heute finanziell abgesichert sei? “Nein, keineswegs.“
  • Dazu passt die 1999 geplatzte Kooperation der Deutschen Bank mit dem Filmemacher und Theaterregisseur Christoph Schlingensief. Anlässlich eines Galaabends im Berliner Reichstag hatte die dem Geldinstitut angegliederte Alfred Herrhausen Stiftung dem notorischen Provokateur wagemutig freie Hand für ein Event gegeben. Als Schlingensief ankündigte, unter dem Titel “Rettet den Kapitalismus – schmeißt das Geld weg“ sein gesamtes Honorar in Höhe von 100.000 DM in kleinen Scheinen vom Dach des Reichstags zu werfen, machte die Bank sehr schnell einen Rückzieher.
  • Zu einer echten Anti-Firmen-Firma wurde die Schweizer Künstlergruppe “etoy“, auch wenn das von Anfang an so gar nicht geplant war. Die in Zürich ansässige siebenköpfige Gruppe gehörte zu den Pionieren der Netzkunst und hatte bereits 1995 ihre Internetdomain www.etoy.com registrieren lassen. Auf der zugehörigen Website, dem etoy.TANKSYSTEM, beschrieben als “Paralleluniversum irgendwo zwischen LEGO-Land, Internet-Trainingslager, virtueller Kirmes, Hypermedia-Testgelände und Internetmotel für den Reisenden der neuen Art“, fand sich allerlei krude Medienkunst-Experimente, darunter durchaus einige pornografischen Inhalts. Verstärkte Aufmerksamkeit erfuhr die Website erst 1999, als die Interneteuphorie richtig losbrach und der Hype um den e-Commerce seinen Höhepunkt erreichte. Kunden des in den USA ansässigen Internet-Spielzeughändlers eToys hatten sich beschwert, weil sie – und schlimmer noch: ihre Kinder – versehentlich auf der etoy-Website gelandet waren, woraufhin die Geschäftsführung die Künstler auf Herausgabe der Domain verklagte. Für die damals arg zerstrittene und bereits in Auflösung begriffene Gruppe wurde die Klage zum Kristallisationspunkt einer neuen Identität. Über Netzkunst-Netzwerke gelang es ihnen, schnell eine breite Front der Solidarisierung zu mobilisieren, und die “Toywars“ begannen. Die eine Seite hatte teure Anwälte, die andere Guerillatechniken, um Server lahmzulegen oder Gerüchte in Investorennewsgroups zu streuen. Die etoy-Künstler begriffen ihre Chance, indem sie alle künstlerischen Energien in den Aufbau einer Anti-Firma steckten und die Praktiken der Gegenseite durch Aneignung parodierten, zu einer realen Bedrohung für sie zu werden. Wie bei den gehypten Internetfirmen ging es darum, eine Marke zu schaffen, die nichts verkauft als sich selbst. “Die etoy.CREW wird keine Kunstwerke, Popsounds oder Software verkaufen wie ihre Wettbewerber,“ kündigten sie an, “etoy hat keine Produkte – etoy ist das Produkt.“ Statt Kunstwerke zu verkaufen gaben sie nun selbstgestaltete Aktien mit ihren Konterfeis aus, sogenannte etoy.SHARES, die sich für fas 10.000 Dollar das Stück verkauften. Die Toywars hatten etoy berühmt gemacht und ihr Marktwert stieg täglich, während der Börsenkurs von eToys einbrach – was nur zum Teil an den etoy-Aktivitäten lag, zum größeren Teil wohl dem Platzen der Internetblase geschuldet war. Man kann sagen, dass der Punkt, wo die Satire in ihr Gegenteil umkippte, am 2. Dezember 1999 erreicht war, als die neu gegründete etoy.CORPORATION nun ihrerseits begann, eToys zu verklagen. Am 25. Januar einigten sich beide aufgeriebenen Parteien gütlich vor Gericht, und eine der laut etoy “teuersten Performances der Kunstgeschichte (4,5 Milliarden Dollar)“ (soviel hatte eToys inzwischen an Wert eingebüßt) fand ein Ende. Im März 2001 war das Ziel endgültig erreicht und eToys meldete Konkurs an. Wenig später zerstritten sich die etoy-Gründungsmitglieder endgültig und gingen unterschiedliche Wege.

Für die politische Indienstnahme der Firmenidee könnte ein 1958 in Belgien erschienenes schmales Bändchen stehen, das unter anderem eine völlige Neubewertung der Werbung in der künstlerisch-revolutionären Praxis vorschlägt – wenn es nicht bis heute völlig unbeachtet geblieben wäre. Geschrieben hat es der belgische Kommunist, Surrealist und Magritte-Freund Marcel Mariën, der Titel lautet “Théorie de la révolution mondiale immédiate“ und die einzige deutsche Übersetzung erschien 1989 unter dem Titel “Weltrevolution in 365 Tagen – Versuch über das Unmögliche“ und ist längst vergriffen. Nach einer schonungslosen Analyse des Scheiterns aller bisherigen linksrevolutionären Politikansätze in der westlichen Welt im ersten Teil entwirft Mariën darin das Programm einer klandestinen Weltrevolution, die sich voll und ganz auf die Mechanismen der Massenpsychologie, der Werbung und des Marketings stützen und vollends in ihnen aufgehen soll: “In unseren Aktionen vermischen sich Werbung und Produkt, das sie bekannt machen soll, und werden tatsächlich Ein- und Dasselbe.“

Der Plan Mariëns sieht in der ersten Stufe die Gründung eines weltweit operierenden, äußerlich völlig unpolitischen “Freizeitclubs“ vor, der nach allen Regeln der Kunst kommerziell erscheint: flankiert durch eine groß angelegte Kampagne, die jeden in der Sprache anredet, “die er versteht, die er mag und die ihn fesselt“; ausgestattet mit einem so einfachen Logo, “dass es sehr leicht selbst von Kinderhand nachgemacht“ und “auch noch mit dem Finger auf die beschlagene Fensterscheibe oder in den Staub auf den Autos gezeichnet werden kann“. Basis der langfristigen Subversion des kapitalistischen Systems soll seine perfekte Affirmation und Assimilation sein: “Es kommt also darauf an, unser Personal als auch das Publikum davon zu überzeugen, dass wir ‘Geld machen’, dass sich unsere gigantische Werbung bezahlt macht. Und tatsächlich, wir werden Geld machen, und das ist alles in allem unsere beste Tarnung.“ Der Weg zur Weltrevolution binnen Jahresfrist führt anschließend über die Gründung einer imaginären Partei und einer Gegenpartei, die genau entgegengesetzte Positionen vertritt, die aber beide gemeinsam dank ihres enormen finanziellen Rückhalts und ihrer multiplen Propagandakanäle bei den anstehenden Wahlen die überragende Mehrheit erzielen können. Am Schluss stehe die Machtergreifung und die Abschaffung des Privateigentums an sämtlichen Produktionsmitteln. Ob sein Vorschlag jemals ernsthaft in Erwägung gezogen wurde, ist nicht bekannt. Vielleicht haben wir aber auch nur einfach noch nichts davon mitbekommen.

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