Ein Hauch von Ballermann

Das Konzept Stadtstrand war gut, bis es Eventmanagern in die Hände fiel. Von Holm Friebe, erschienen am 11. August 2004 in Jungle World.

 

Vor 30 Jahren dekretierten die Frankfurter Spontis, dass sich unter dem Pflaster ja wohl der Strand befinde, den es freizulegen gelte, und benannten sogar eine Zeitung nach dieser Idee. Von realem Strand war damals aber weder in Frankfurt noch in sonst einer Großstadt etwas zu sehen. Vielmehr handelte es sich dabei um eine Metapher, ein Desiderat bzw. genau genommen um eine so genannte Utopie. Der Begriff Utopie stammt von griechisch: ou (“kein”) bzw. eu (“gut”) und topos (“Ort”) und heißt damit so viel wie “Nichtort” bzw. “guter Ort”. Womit nicht gesagt sein soll, dass nur ein nicht vorhandener Ort ein guter Ort sein kann und umgekehrt. Oft ist es aber eben doch so, dass sich eine schöne Idee blamiert, sobald sie auf die Realität stößt.

 

Zugegeben, als im letzten Jahr die ersten Laster anrollten und Sand auf das Pflaster der Industriebrachen und Spekulationsgrundstücke mit Wasseranbindung entluden, als ein paar Clubpioniere dort eine Bretterbude zusammendengelten, Liegestühle und Hängematten installierten und Drinks ausschenkten, das hatte durchaus etwas von realer Utopie. Nicht um kleine Fluchten und Eskapismus ging es, sondern um eine konkrete Intervention in Sachen Urbanismus: Wir machen uns die Stadt, widdewiddewie sie uns gefällt. Die Klientel war die klassische Bohème im besten Sinne: bekennende Urbanisten, die die Stadt niemals freiwillig verlassen würden, um Ferien zu machen; Freelance-Lebenskünstler, die sich vom Diktat des geregelten Arbeitsverhältnisses mit 28 Urlaubstagen im Jahr emanzipiert haben. Ein Hauch von Jamaika lag in der Luft. So ließ sich’s leben.

 

Mittlerweile gibt es in jeder Großstadt Stadtstrände wie Sand am Meer. Und auch wenn man in den meisten Fällen nicht wie am Meer ins Wasser gehen kann, ist die Idee inzwischen durch ihre Demokratisierung verwässert. Stadtstrände mögen als Projekt der Bohème gestartet sein, heute werden sie zwischen den Polen bourgeoiser Bohème und marginalisierter Mainstream zerrieben wie Muschelkalk. Zum einen fiel das Konzept in die Hände der Eventmanager, die nichts anderes gelernt haben, als eine schöne Idee aufzugreifen, “im großen Stil aufzuziehen” und damit kaputtzumachen. Ihre Strände beben vor Dorfdiscotechno, stinken nach Alcopops und ziehen das dementsprechende Publikum an, das Hantelbank und Solarium gern mal gegen einen Liegestuhl tauscht, sowie Arbeitslose, die sich nach Harz IV den Mallorca-Aufenthalt nicht mehr leisten können. In einer Stadt wie Berlin mit einer Arbeitslosenquote von über 18 Prozent sind das Heerscharen. Ein Hauch von Ballermann liegt in der Luft.

 

Schwerer wiegt jedoch die Kolonialisierung der Stadtstrände durch die bourgeoisen Bohémiens: Spießer, die ihre vermeintliche Unangepasstheit als easy goin’ deklarieren, den Strand für einen verlängerten After-Work-Club halten und am liebsten unter ihresgleichen verkehren. Berliner Paradebeispiel für diese Kategorie ist der Bundespressestrand in unmittelbarer Nähe des Reichstages. Hier hält auch schon mal die FDP eine Versammlung ab. Hier hat die als schlecht getarnte Arbeitgeberlobby fungierende Initiative “Neue Soziale Marktwirtschaft” jüngst eine raffinierte Sonderwerbeform geschaltet: eine Tafel mit der Aufschrift “Deutschland”, die so an die Kaimauer geschraubt ist, dass die Schrift halb ins Wasser ragt. Während Deutschland absäuft, trinken hier diejenigen, die das am wenigsten betrifft, ihre Longdrinks. Den Zopfmuster-Strickpulli salopp über der Schulter, streifen sie die legeren Loafers von den Füßen und lassen mal fünf Millionen Arbeitslose gerade sein. Ein Hauch von Sylt liegt in der Luft.

 

Diese beiden Degenerationsformen sprechen dafür, dass es Zeit ist, das Konzept Stadtstrand als verlorenes Terrain zu betrachten. Es hat mit der Ursprungsidee noch so viel gemein wie die heutigen Praktiken des Guerilla-Marketings mit dem Konzept Stadtguerilla. Dass es dazwischen immer noch geheime Orte gibt, die noch in keinem City-Guide auftauchen, von echten Idealisten betrieben und von einer ausgesucht netten Klientel frequentiert werden, die hier zwanglos den Sommer vertändelt, spricht dafür, dass wir diesen Sommer noch mal eine Ausnahme machen.

 

In Jungle World.

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