Generation Ypsilon

Von Holm Friebe, erschienen am 07.08.2001 in der Berliner Zeitung.

 

Um Sie, geneigte Leserschaft, nicht – wie mein selbst ernannter “Ziehvater” Ypsilon Schmidt mit seinen haltlosen und halbwahren Anwürfen – vollends zu langweilen, möchte ich noch einmal auf das Thema zu sprechen kommen, das den Ausgang unserer kleinen, unnötigerweise öffentlich ausgetragenen Kontroverse bot: das Wohnen. Oder auch: “Wohning”, wie Ypsilon es anbiedernd, aber unbeholfen formulierte. Nicht nur darin ähnelt er seinem Freund Rainhard Mohr, der Woche für Woche den “Spiegel” vollschreibt mit Sätzen wie “Wird links wieder schick, Pardon, cool?” Eben jener Reinhard Mohr, der, bevor der “Spiegel” ihm stilistisches Asyl gewährte, ein Buch über seine und Ypsilons Generation der heute Mittvierziger geschrieben hat – unter dem Titel “Zaungäste”. Gemeint war, dass er und seine Altersgenossen politisch nichts Eigenes auf die Reihe bekommen hätten und nur zuschauen durften. Man könnte das ebenso in ästhetischer Hinsicht lesen – und Ypsilon dafür als beredtes Beispiel heranziehen. Obwohl Ypsilon gern – man merkt es ihm an und der Name suggeriert es – lieber nicht zu den “Zaungästen” sondern zur “Generation Yps” zählen würde, hat er die entscheidenden Punkte nicht begriffen. Lediglich erinnert er an das gestreifte Känguru aus dem gleichnamigen Heft. Die Rede ist von Stil, über den Ypsilon schlicht nicht verfügt, angefangen bei der Kleidung: Das Tolle an Helmut Langs Sachen etwa ist doch, dass sie unglaublich gut aussehen und dabei so selbstverständlich. Ich besitze einen ausgesprochen kleidsamen schwarzen Lang-Kapuzensweater, den ich immer zu Demos anziehe. Ich mag die Vorstellung, in einem 250-Mark-Pulli für einen Autonomen gehalten zu werden. “Holm, hilf mir! Ich brauche eine Hose für die Sahara!”, rief mich Ypsilon irgendwann an, bevor er zu seiner Schießausbildung bei den Polisario-Rebellen in der Westsahara aufbrach. “Okay”, meinte ich, “kaufen wir eine Hose.” Nach langem guten Zureden ließ sich Ypsilon zum Kauf eines Paars sehr schön schlichter und wie für die Wüste gemachter Lang-Khakis breitschlagen, die zudem runtergesetzt, also ein echtes Schnäppchen waren. Anziehen tut er sie indes bis heute nicht, weil sie zu teuer waren, und auch in die Sahara hat er lieber seine alte Moonwashed-Jeans mitgenommen. Kein Wunder, dass ihn die stilbewussten Sarauis nicht an ihr MG gelassen haben. Wie bei der Kleidung, so beim Wohnen, nur noch schlimmer. “Ich bin davon überzeugt”, schreibt Haruki Murakami in “Hard-Boiled Wonderland”, “dass sich die Vornehmheit eines Menschen in der Wahl seines Sofas zeigt. Das Sofa ist eine der festen Burgen, die sich nicht erschüttern lassen. Das wissen aber nur die, welche mit bequemen Sofas groß geworden sind. Es ist dasselbe, wie mit guten Büchern oder guter Musik groß geworden zu sein. Ein gutes Sofa gebiert wieder ein gutes Sofa, ein schlechtes ein schlechtes. So ist das nun mal.” Und das genau ist es, was Ypsilon nicht kapiert. Sein Sofa ist, mit Verlaub, Dreck. Dafür hat er die ganze Wohnung mit Sisal ausgekleidet, nur den Fußboden nicht. Warum, weiß keiner. Zu allem Überfluss zieht er in seiner Küche ungelogen vietnamesische Stinkfrüchte. Und dann wundert er sich, dass ihn niemand besucht. Selbst wenn er mal wieder zu einem seiner gefürchteten, früher jedoch rege frequentierten Diavorträge ausholte, die spannende Fatamorganen oder den Verschimmelungprozess von Brot zum Thema haben, saß Ypsilon in jüngster Zeit häufig allein in seinem abgedunkelten Reich und ließ lustlos Magazin um Magazin durchschnarren. Sein jüngster Vorstoß, wieder Besucher in die Wohnung zu locken, sah vor, endlich mal einen Tisch anzuschaffen. Keine schlechte Idee, mit Mitte 40! Was aber macht Ypsilon? Er fährt in den erstbesten Weddinger Möbelladen mit Namen “Country Living”, was Ypsilon als hinreichender Ausweis gehobener Qualität erschien. Dort erwirbt er für schlappe 2 000 Mark ein Teil, das der Verkäufer ihm als “italienisches Designermöbel” unterjubelt, bezahlt und fährt ohne Tisch nach Hause, weil der “erst in einer Woche” lieferbar sei. Seither waren wir noch drei Mal in der “Country Living”-Hölle, und Ypsilon ließ sich immer damit abspeisen, dass die Italiener das Glas nicht liefern können. Mittlerweile hat er den Tisch wieder abbestellt, ergo immer noch keinen Tisch, und für das Geld Aktien einer Italienischen Glashütte gekauft. Ich denke, das sagt irgendwie alles. So. Und nun zu etwas völlig anderem.

 

In der Berliner Zeitung.

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