Gott ist ein Türsteher

Was Schlingensief mit Habermas und Rainald Goetz mit Luhmann teilt. “Jeff Koons” in Hamburg. Von Holm Friebe, erschienen am 19.01.2000 in Jungle World.

Bis vor kurzem war unklar, ob Rainald Goetz weiter erscheinen würde. Jetzt hat eine GmbH aus München die Namensrechte erworben und verspricht, dass Goetz seinen Fans auch in Zukunft erhalten bleiben wird, allerdings musiklastiger als bisher. Noch musiklastiger? Das ist natürlich alles totaler Unsinn.

 

Wer Goetz ein bisschen kennt, weiß, dass er immer und überall erscheint, unter anderem natürlich auch zum großen Showdown-Interviewgespräch mit Dietmar Diederichsen und Diedrich Dath in der letzten Ausgabe von Spex. In Hamburger Kneipenkreisen wird, wie man hört, dieses Gespräch bereits als Meilenstein im maskulinen Popjournalismus gehandelt. Ob man denn schon das große Penis-Fechten gelesen habe? Ja, klar. Und jeder scheint sofort zu wissen, was gemeint ist. Phänomenal.

 

Tatsächlich hauen sich die Großkopferten des Pop dort auf sechs Seiten die spexoiden, 22 Zentimeter langen Substantivkonstruktionen um die Ohren, dass es nur so kracht: “Abstruser Gegenüberstellungsschwachsinn” (Diederichsen), “autokatalytische Dynamik der Texte” (Goetz), “Ansprache an MEINE jeweilige constituency” (Dath). Je nun.

 

Aber zurück zu Goetz. Wie weit muss man ausholen? Muss man erwähnen, dass ehedem auf ihm, dem Gottfried-Benn-Nachfolger und zornigen jungen Mann der deutschen Literatur, die Hoffnung des gesamten Feuilletons ruhte, bevor er sich Anfang der Neunziger mit Anfang 40 entschloss, noch ein bisschen Spaß zu haben, Party zu machen und alles geil zu finden? Wohl kaum. Muss man schreiben, dass er das Jahr 1998 über wie manisch Tagebuch im Internet schrieb (“Abfall für alle”)? Und siehe da: Es funktionierte und war gut, und viele mochten es. Danach war er kurzzeitig von der Bildfläche verschwunden, abgetaucht.

 

In “Am Pool”, dem Internet-Chat für Goetz-Epigonen und aristokratische Tristesse, tauchte der Meister lange Zeit nur als “steinerner Gast” auf, also gar nicht, bevor er kryptische Minimalgedichte einsandte. Im Sammelband “Mesopotamien” ist er mit einer Fotostrecke vertreten. Wer schon dachte, der einjährige Tagebuchmarathon, die freiwillig unfreiwillige Öffentlichkeit, die damit einherging, und die parallele Arbeit am Theaterstück “Jeff Koons” hätte ihn ausgelaugt, darf noch mal denken. Schon im März erscheint bei Suhrkamp Goetz’ Erzählung “Dekonspiratione”.

 

Außerdem wurde “Jeff Koons” in Hamburg uraufgeführt und Rainald Goetz gibt Interviews dazu. Wie er sich vor der Kitschfalle schütze, fragte der Spiegel, und Goetz sagte: “Ich weiß nicht (…). Ich versuche, die Sache realistisch dreckig zu halten, normal verschmutzt. Kaputte Formen finden, die trotzdem stimmen, die anders, nichtkaputt sein wollen.” Und an anderer Stelle: “Forciertheit ist ein Naturaldefekt bei mir, wahrscheinlich geht er erst durch den Tod ganz weg.” Kaputte Interview-Bestform, könnte man sagen. Über das Stück selbst, das der junge Baseler Regisseur Stephan Bachmann am Hamburger Schauspielhaus auf die Bühne gebracht hat, kann man dagegen gar nicht viel sagen, man ist ja befangen. Hat man doch ein Jahr lang mitgelitten im Netz bei der Entstehung. Wie etwa am 16. Juni 1998, wo es hieß: “Am Stück. Feierabend. Kopfzermarterungstag, ganz fies. Total k.o., k.o. von lauter nur blockierten NICHT-Gedanken über Sachen, die ich NICHT schreiben kann, weil ich NICHT kann, NICHT darf oder NICHT will.” Schlimm.

 

Deshalb weiß man aber auch schon eine ganze Menge über das Stück, bevor man es gesehen hat und ohne es gelesen zu haben. Man kennt Goetz und seine Spezis; weiß um seine latent misogyne Art und das männerbündlerische Ding, das immer im Hintergrund mitläuft; weiß, was ihn an der Figur Jeff Koons fasziniert, dem großen Kitschkünstler der Achtziger, der seine Trash-Ehe mit der Pornoqueen Ilona Staller alias Cicciolina öffentlich inszenierte, in den Neunzigern kolossal abstürzte und sich im ebenfalls in Talkshows ausgetragenen Sorgerechtstreit um das gemeinsame Kind aufrieb.

 

Wenn in der ersten Szene einem “Herrn Wagner” von einem gottgleichen Türsteher aus dem Off der Zutritt zur Bühne alias zur Disco des Lebens verwehrt wird, weiß man, dass es sich dabei nur um den B.Z.-Chef Franz Josef Wagner handeln kann, mit dem Goetz eine intime Hassliebe verbindet. Gott ist ein Türsteher, ist ein Künstler, ist Jeff Koons, Rainald Goetz und Adolf Hitler in einer Person, ist Niklas Luhmann.

 

Der hatte Goetz in der Entstehungsphase des Stückes annähernd so sehr beschäftigt wie Wagner. “Kunst wird zu einem sich selbst bestimmenden, sich selbst produzierenden, sich an inneren Kohärenzen und Widersprüchen orientierenden System”, schreibt Luhmann, und das gilt allemal auch für das Stück. Die letzte Szene ist eine Vernissage mit lauter lebensgroßen Stofftieren, allesamt aus Werken von Koons. Während der Galeristen-Bär verstiegenen Schwachsinn über Kunst psalmodiert, kopulieren die anderen Koons-Bären und Paulchen Panther haltlos um ihn herum und besudeln den weißen Raum mit ihren bunten Körperflüssigkeiten. Der Kunstbetrieb als debile Inzest-Veranstaltung, wie konnte es so weit kommen? Davor waren die schönen Achtziger mit einem schönen Bühnenbild aus Pink und Grau.

 

Vorher, ganz am Anfang, hat ein Chor aus acht Andy Warhols “Frozen” von Madonna intoniert, und es klang wie ein mittelalterlicher Choral. Vorher waren Koons und Cicciolina alias Adam und Eva ein Raver-Pärchen, unschuldig verliebt im Paradies des Nightlife. Der Apfel war ihr Trip und ihr Ecstasy, und wenn einer einen Laberflash bekam (“Was heißt das also, diese Ichichkeit?”), dann war das nicht schlimm. Dann kam der Erfolg, und die Kunstproduktion wurde zu einem mittelständischen Betrieb, viel unsexier als Warhols Factory. Der Künstler wurde zum genialischen Despoten mit Arturo-Ui-Anklängen. Dann kam das Kind, das aussah wie eines jener Kunst-Mutantenkinder von Jake und Dino Chapman, und alles ging den Bach runter.

 

Das klingt in der Nacherzählung vollständiger und teleologischer, als es im Stück erscheint, und man könnte auch eine ganz andere Geschichte erzählen. Die von den Pennern zum Beispiel: Vor grellem Rosa lungert eine Hofgesellschaft in üppiger Barock-Kostümierung und mit Pompadour-Perücken und labert, teils antiquiert-hochtrabend, teils restringiert-flachsinnig. Erst als Koons vorbeistolpert und von ihnen um Geld angegangen wird, merkt man, dass es sich um Abschaum handelt, eine Inszenierung der von Goetz so abstrakt verklärten Prolligkeit.

 

Hier spätestens drängt sich die Parallele auf zu einem anderen deutschen Theatermacher mit Pop-Status: Christoph Schlingensief, der 1998, während Goetz fleißig Tagebuch schrieb, an selber Stelle, im Foyer des Schauspielhauses, zwei Wochen lang mit den Pennern vom Bahnhof kampiert hat. Klingt so ähnlich, aber der Ansatz ist diametral entgegengesetzt. Während Schlingensief davon ausgeht, dass uns mit den Pennern alles verbindet, nur eben zufällig nicht die Lebensumstände, sagt Goetz, dass uns mit den Pennern überhaupt nichts verbindet, außer den Lebensumständen.

 

Wo Schlingensief Habermas ist, ist Goetz Luhmann. Die gesellschaftlichen Teilsysteme sind komplett ausdifferenziert, und obwohl Künstler und Penner gleichermaßen kaputt und fertig sein mögen, können jene aus Sicht des Künstlers nur als Emanation from outer space wahrgenommen werden – daher auch ihre irisierende Schönheit.

 

Trotzdem werden die Penner zu einer Allegorie für die Künstler: In ihrer gesellschaftlichen Verzichtbarkeit befreit zum Labern, zum Rumnerven und zur Selbstzerstörung. Das ist wahrscheinlich der größte gemeinsame Nenner, auf den sich Schlingensief und Goetz einigen könnten: Scheitern als Chance. Und Paulchen Panther steht etwas ratlos dabei und versteht das alles überhaupt nicht.

 

In Jungle World.

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