Hip-Hop kill the Mafia-Film

“Ghost Dog”: Jim Jarmusch verabschiedet den Paten. Die Zukunft des Gangsta-Rap im Kino.
Von Holm Friebe, erschienen am 12.01.2000 in Jungle World.

Sieht man einen Film von Jim Jarmusch, weiß man in jeder Sekunde, dass man gerade einen Film von Jim Jarmusch sieht. Er ist – wertneutral gesprochen – der letzte US-amerikanische Autorenfilmer, der so etwas wie eine unverwechselbare filmische Handschrift hat. Der letzte, der die urban säkularisierte Spiritualität der Achtziger in den Neunzigern noch glaubhaft vertreten hat. Entweder man mag ihn nicht oder mag ihn bedingungslos. Deshalb war Jarmusch auch der identitätsstiftende Held der Slacker (“Permanent Vacation”, 1980), der taxifahrenden Langzeitstudenten (“Night on Earth”, 1992) und der krypto-esoterischen Stadtindianer (“Dead Man”, 1995).

Der neue Film, “Ghost Dog – Der Weg des Samurai”, ist ganz anders und wieder ganz genau so. Brisant ist er schon deshalb, weil Jarmusch sich auf ein kulturelles Terrain vorwagt, auf dem Kaukasier qua Hautfarbe von vornherein jede Kredibilität vermissen lassen, dafür aber gute Chancen haben, im Hagel der Drive-by-Kritik zu sterben. Jarmuschesk ist der Film, weil schon mit der ersten Einstellung – eine Taube über den Dächern einer amerikanischen Stadt – der symbolische Akku aufgeladen wird. Am Ende ist er voll mit schönen, melancholischen und unterkühlten Bildern, die keinen Zweifel daran lassen, dass sie eine Menge zu bedeuten haben.

Wie Johnny Depp in “Dead Man” ist auch Forest Whitaker, der Hauptdarsteller in “Ghost Dog”, von Anfang an tot und weiß es nur noch nicht. Besser: Er weiß es, aber das Publikum noch nicht. Er ist der geheimnisvolle Schwarze, der auf dem Flachdach eines Hochhauses in einem Verschlag wohnt, zusammen mit seinen Brieftauben. Er ist die Reinkarnation von Biggie Smalls und Ralph Ellisons “Invisible Man”, ein schwergewichtiges Phantom, eine Blackness-Ikone in spe, ein in ein Fass mit gebenedeiter Tinte gefallener Bernhardiner.

Wenn er nicht gerade Tauben dressiert, bastelt er elektronische Super-Gadgets oder übt Schwertkampf und sieht bei allem verdammt cool aus. Die Kamera freut sich an Forest Whitaker, und er gibt ihn sehr gut, den verrätselten Mönch im Kloster der Gewalt, kalt und instinktsicher wie ein Fisch ohne Geschichte. Ohne Geschichte? Nicht ganz. Das Schicksal hat ihm eine Nachspielzeit eingeräumt. Eigentlich ist er tot, seit er – damals war er einfach ein fertiger farbiger Punk – beinahe von einer weißen Straßengang gekillt wurde. Er hatte den Lauf schon an der Schläfe, als ihm ein schmieriger Mafioso das Leben rettete.

Seitdem ist er Ghost Dog, der die Lehren der Samurai befolgt, vor allem diese: “Ein Samurai schuldet seinem Herren unverbrüchliche Treue, gleich, was passiert.” Und sein Herr ist der Mafioso, dem er als Auftragskiller zu Diensten ist. Dafür benutzt er Präzisionswaffen und schicke Autos, die er mit Hilfe seiner Elektronik-Gadgets knackt. Anfangs tut es ein Lexus, für die kathartische Metzel-Orgie gegen Ende muss es allerdings ein Benz, später ein Jaguar sein. Ein Samurai muss tun, was ein Samurai tun muss. Auch wenn das heißt, die gesamte örtliche Branche der Mafia zu vertilgen, die so dumm war, ihn und seinen Herrn als Bauernopfer einzustufen.

Die Mafia macht es ihm allerdings nicht gerade schwer. Von der altehrwürdigen Familie, die noch in der “Pate”-Trilogie heroisch ins Bild gerückt wurde, die in “Pulp Fiction” erstmals Schlagseite bekam, und nur mit Mühe zusammengehalten werden konnte, ist in “Ghost Dog” nur noch ein erbarmungswürdiger Haufen degenerierter und bankrotter Ganoven übrig, deren Synthetikstrickjacken über den Schmerbäuchen spannen. Weil der Ausgang von vornherein feststeht, ist der Film weit weniger spannend als die Strickjacken.

Außerdem steht ja alles im Buch des Samurai, dessen Weisheiten jeweils als Vorausdeutung auf die kommenden Szenen funktionieren. Genau wie die Trickfilmsequenzen von “Felix the Cat” oder “Itchy and Scratchy”, die die ätherische Tochter des Mafia-Bosses ununterbrochen im Fernsehen ansieht. Auch, dass der Held nach erfüllter Mission von seinem Meister hingerichtet wird, damit dieser ein Alibi hat, überrascht wenig. Hießen doch die ersten Sätze schon: “Der Weg des Samurai erfüllt sich im Tode. Tag für Tag sollte über den unausweichlichen Tod meditiert werden.”

Dafür gibt es einige nette und überraschende Einfälle und Bilder, die rein für sich funktionieren: Ein Kinderbuch über das alte Japan, das als McGuffin einmal die Runde macht; jemanden, der auf dem Dach eines Hauses eine Arche baut, einen Eisverkäufer, der nur französisch spricht, weshalb der Geisterhund und er stets das Gleiche in verschiedenen Sprachen sagen und noch nicht mal merken, wie gut sie sich verstehen. Es gibt eine Szene, in der zwei Wilderer einen Grizzly erlegt haben und dafür vom Hauptdarsteller exekutiert werden. Spätestens hier taucht wieder die Frage nach der Bedeutung auf. Bringt Ghost Dog sie um, weil er sich auf mystisch-spirituelle Weise dem Tier verbunden fühlt, das ihm phänotypisch ähnelt? Oder weil sie ihn einen Nigger genannt haben? Und was soll der ganze esoterische Samurai-Quatsch?

Es gibt einen Schlüssel dafür in der Musik, die Ghost Dog bei seinen nächtlichen Fahrten zur Arbeit hört und die den Film in einen durchgängig coolen HipHop-Groove taucht. Im Spiegel-Interview behauptet Jarmusch, ihm sei die Hautfarbe seines Hauptdarstellers gar nicht aufgefallen: “In dieser Hinsicht bin ich irgendwie blind.” Das ist zwar sehr schön korrekt gesprochen, aber ausgemachter Unfug. Selbst jemand wie Jarmusch wäre nicht so vermessen, sich in ein Thema wie “schwarze Coolness” – das eigentliche Thema des Films – zu vertiefen, ohne vorher ein Seil in der authentischen Kultur zu verankern. The real thing wenn schon, denn schon. Die Musik und damit die Rückversicherung stammt von RZA (gesprochen: Rizza), dem Produzenten des Wu-Tang-Clan. Der Film adaptiert fernöstliche Spiritualität in derselben eklektizistischen Weise wie Wu Tang den Kung-Fu-Film übernommen hat.

Ihren New Yorker Stadtteil Staten Island haben Wu Tang in Shaolin Island umbenannt und betrachten ihr Werk als Kloster mit “36 Chambers”. Wenn Ghost Dog also in einer Szene RZA auf der Straße trifft und kurz begrüßt, lebt auch er in Shaolin Island, und der Film geht als 37. Kammer des Wu-Tang-Klosters durch.

Auch die Tiermetaphern, die der Film an den Hauptdarsteller heranträgt und die dem uneingeweihten Betrachter als blanke Rassismen erscheinen mögen, sind Anleihen aus dem Rap, wo selbstgewählte Mystifikation und Primitivismen eine doppelbödige Strategie sind, den hegemonialen Rassismus umzukehren: Eine Jiu-Jitsu-Technik, die die Gewalt des Angreifers nutzt, um sie gegen ihn zu richten. So macht auf einmal der ganze Film Sinn: als respektvolle Liebeserklärung an die HipHop-Kultur mit all ihren Gangsta-Posen und als liebevolle Absage an die alte Gangster-Welt der Paten und subalternen Pistoleros, mit der ein ganzes Genre versinkt, dem hier filmisch ein Grabstein gesetzt wird.

Vielleicht ist Jarmusch, bei allen berechtigten Ressentiments, damit tatsächlich ein großer Wurf, eine interessante Übersetzungsleistung gelungen. Beim finalen Showdown zwischen Meister und Gefolgsmann darf Ghost Dog, bevor er durchsiebt verendet, die bedeutsamen letzten Worte sprechen: “Wir sind wie zwei alte Volksstämme, beide so gut wie ausgestorben … Um uns herum scheint sich alles zu verändern.” Natürlich hat er individuell Recht damit, und der Mafioso bleibt übrig. Filmisch gilt das genaue Gegenteil: Jarmusch killt das Mafia-Genre zu Gunsten des HipHop, um deutlich zu machen: Hier spielt die Musik.

“Ghost Dog – Der Weg des Samurai”, USA 1999. R: Jim Jarmusch; D: Forest Whitaker. Start: 13. Januar

In Jungle World.

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