“Humor gewinnt”

Ein Gespräch mit den Autoren von “Leaving reality behind”, Regula Bochsler und Adam Wishart. Von Holm Friebe, erschienen am 22.01.2003 in Jungle World.

Der Titel eures Buches, “Leaving reality behind”, war das Motto der Schweizer Webkünstlerguppe etoy, die sich mit dem Online-Spielzeughändler eToys eine Schlacht um Namens- und Domainrechte lieferte. Auch eToys scheint in der heißen Phase des Toywar gründlich die Bodenhaftung verloren zu haben. Auf welcher Seite war der Realitätsverlust größer?

Wir haben den Titel gewählt, weil er sehr gut zu jener Phase der Internetgeschichte passt, die wir beschreiben, in der viele Menschen den Kontakt mit der Realität zu verlieren schienen. Einerseits glaubte die frühe Internetcommunity daran, die physische Welt hinter sich lassen und nur noch im Cyberspace existieren zu können. Andererseits passt der Titel zum verbreiteten Glauben von Investoren, das Internet werde sich als ewiger Quell von Reichtum und Profit erweisen, ungeachtet der Tatsache, dass viele Internetfirmen keine Aussichten hatten, jemals Geld zu verdienen.

Unser Buch ist voll mit Geschichten von Leuten, denen auf die eine oder andere Art und Weise “die Realität abhanden gekommen” ist. So gesehen scheinen etoy diejenigen Protagonisten des Buches zu sein, die den Kontakt zur Realität am wenigsten verloren hatten, obwohl sie es waren, die den Begriff prägten. Dennoch haben sie auf ihre Weise die Realität hinter sich gelassen. Ihr komplexes Konstrukt, eine Satire auf reale Unternehmen, verkaufte nichts als sich selbst. Als der Erfolg sich einstellte, begannen die etoy-Mitglieder, ihre eigene Satire ernst zu nehmen, sie schienen überzeugt, ihr Phantasma sei tatsächlich eine Form der (Business-) Realität.

Der Untertitel heißt: “The battle for the soul of the internet”. Viele Geschichten aus der Pionierzeit des Mediums lesen sich bei euch recht nostalgisch. Ist die Schlacht ums Internet entschieden? Und wenn ja, welche Seite hat gewonnen?

Das ist nicht unsere eigene Nostalgie, viel eher beschreiben wir die Nostalgie vieler Internetuser und -entwickler der ersten Stunde, die das Eindringen des Business in den Cyberspace erlebten, den sie für den ihren hielten, für einen Raum frei von Spannungen, wie sie der Kapitalismus oder staatliche Regulierungen mit sich bringen. Die frühen Jahre dieser Entwicklung waren wahrscheinlich konfliktträchtiger als die Jahre danach. Anfangs hatten die verschiedenen Communities noch weit auseinander liegende Vorstellungen davon, was das Internet einmal sein könnte.

In den Jahren des Booms wurden viele dieser Konflikte einigermaßen gelöst, aber es macht keinen Sinn zu sagen, “diese” oder “jene” Seite habe gewonnen. Es ist eher wie die Gratwanderung zwischen einem rein kommerziellen und kontrollierten Internet und einem komplett anarchischen, die irgendwann abgeschlossen war. Die Spannung zwischen diesen beiden Lagern bleibt aber bestehen, sei es in Fragen des intellektuellen Eigentums, sei es in Fragen der Regulierung der Domainnamen.

Euer Fazit lautet: “Der Wandel des Internets von einem freien akademischen Netzwerk zu einem globalen und kommerziellen Territorium erzeugte einen Cyberspace, der – wenig überraschend – ein genaues Spiegelbild der ‘realen’ Welt abgibt.” Ist die Gentrifizierung des Netzes wirklich so weit fortgeschritten? Sind dort nicht immer noch Dinge möglich, die in der realen Welt nicht funktionierten?

Wir würden niemals behaupten, das Internet folge exakt den Regeln der “realen Welt”. Dennoch haben sich, wie wir zu zeigen versuchen, die demokratischen Möglichkeiten und die Aussichten auf eine bessere Welt, wie sie in den Anfangstagen des Internets oft beschworen wurden, als zu optimistische Visionen erwiesen. An der Stelle dieses überschäumenden Optimismus sehen wir heute ein Netz vor uns, das die bestehenden Machtverhältnisse der realen Welt widerspiegelt. Unabhängig davon existieren in der Technologie selbst angelegte, von gegenseitigem Respekt getragene Möglichkeiten, dass unterschiedlichste Minderheiten eine Stimme haben. Beispielsweise haben die Umweltbewegung und verschiedene Künstler demonstriert, wie man auf eine Art mit seinen Anhängern kommuniziert, die sich von der realen Welt unterscheidet.

Die Konfrontation etoy vs. eToys hatte exemplarischen Charakter. Es ging am Ende um das Recht der freien Meinungsäußerung. Andernfalls hätte sich wohl kaum so eine breite Phalanx von Künstlern bis hin zu Antiglobalisierungsaktivisten mit etoy solidarisiert. War das in dieser historischen Situation einmalig oder könnte es jederzeit wieder zu einem solchen Showdown kommen?

Etoy stellten es sehr geschickt an, ihren Kampf in der Öffentlichkeit als Kampf um die freie Meinungsäußerung darzustellen. Die Tatsache, dass ihr Mailserver vom Netz genommen wurde, spielte dabei eine wichtige Rolle. Und wie wir alle wissen, finden besonders in den USA Konflikte um die freie Meinungsäußerung ein starkes Echo und haben großes Mobilisierungspotenzial. Wir glauben, dass etoy von der historischen Konstellation profitierte. Der Toywar fand auf dem Höhepunkt der Dotcom-Hysterie statt; viele alte “Bewohner” des Netzes fühlten sich bedroht durch die Aggressivität der Businesscommunity, die das Internet zu ihrem Werkzeug machen und eigene Spielregeln etablieren wollte.

Die Proteste von Seattle, die kurz zuvor stattgefunden hatten, bewiesen, dass das Internet für alle möglichen Aktivisten ein unbeschreiblich praktisches Instrument war, sich zu organisieren und ihre Anliegen auf die Straße zu tragen. Nach Seattle herrschte großer Optimismus, dass sich gegen jede Art von Ungerechtigkeit etwas ausrichten lasse, nicht zuletzt mit Hilfe des Internets. Das scheint auch die Anti-eToys-Proteste beflügelt zu haben. Infolge neuer Regelungen für Trademark-Streitigkeiten im Internet ist ein Konflikt wie der zwischen etoy und eToys heute aber nicht mehr möglich.

War der Toywar ausschlaggebend für den Kollaps des Aktienwertes von eToys und den Konkurs? Was hätte eToys anders machen können, um das zu vermeiden? Hätte man die Provokation von etoy vielleicht sogar strategisch nutzen können?

Wir behaupten nicht, dass der Toywar letztlich für den Zusammenbruch des eToys-Aktienkurses ausschlaggebend war. Es waren andere Mechanismen am Werk, die sehr viel stärker wirkten, zum Beispiel das Ende der Sperrfrist für eToys-Aktien, finanzielle Probleme des überschuldeten Unternehmens, eine allgemeines Unbehagen am Aktienmarkt, der kurz vor dem Kollaps zu stehen schien. Zudem waren so viele eToys-Aktien in Umlauf, dass der Anteil der Aktien, die aus Protest gegen die Haltung von eToys in dem Konflikt allenfalls verkauft worden sind, den Aktienpreis niemals so weit in den Keller hätte drücken können. Etoy profitierten hier vom Zusammentreffen verschiedener Ursachen, deren Resultat sie für sich reklamierten und gegenüber der Presse als Resultat der Protestbewegung ausgaben.

Dennoch hat eToys den Konflikt nicht clever gemanagt. Als E-Commerce-Retailer, dessen Hauptwerkzeug das Internet ist, haben sie wenig von den Dynamiken begriffen, die im Internet und seinen Communities angelegt sind. Weniger aggressive Strategien, ein besserer Sinn für Humor und eine konziliantere Haltung hätten dem Unternehmen sicher geholfen.

Etoy hat Business immer auch als Parodie verstanden. Sie sahen im Aufbau eines Unternehmens, das nichts produziert außer dem eigenen Image, den wahren künstlerischen und subversiven Akt. Ein versponenner Ansatz, könnte man sagen, der ihnen gegen Ende, als sie von eToys Geld hätten abräumen können, zu Kopf gestiegen ist. Wie funktioniert so etwas?

Der zentrale Punkt von etoy war Satire, sie haben ein gefaktes Unternehmen geschaffen, das sich selbst als real präsentierte, mit “Aktien”, einer Marke und einem Logo. In Wirklichkeit haben nichts als sich selbst verkauft. Damit legten sie den Zeigefinger auf den Schwachpunkt vieler Unternehmen, die genau das gleiche machten, die auf nicht viel mehr basierten als einem künstlerischen Design, das sie ihre Marke nannten. Der Erfolg von etoy bestand darin, auf diese Weise die Absurdität der Wirtschaftswelt zu spiegeln.

In einer immer stärker medienvermittelten und medienkundigen Welt können seriöse Unternehmen daraus eine für sie zentrale Lektion lernen: Dass nämlich kleine, schlagkräftige Koalitionen einer sorgsam gehätschelte Marke enormen Schaden zufügen können. Satire, Humor und Parodie sind Strategien, die seriöse Kommunikationsabteilungen großer Markenartikler oft nur schwer parieren können. Ein guter Sinn für Humor ist in dem Fall vielleicht die einzig wirksame Abwehr.

Das meiste Venture Capital wurde für Werbung und Marketing verbrannt. Dennoch entstanden erfolgreiche Firmen, die aus nicht viel mehr als einer stark beworbenen Marke und einer Geschäftsidee bestanden. Hat mit der Krise auch die Anfälligkeit für Attacken auf das Image von Unternehmen wieder abgenommen?

Über die Nachbeben der Internetkrise hinaus nimmt die Macht von Marketing und Branding weiter zu. Das Image einer Firma und ihre Reputation bei den Konsumenten sind oft die wichtigsten Grundlagen des Business. In einem immer kompetetiveren Marktumfeld ist die Marke meist das, was ein Produkt am stärksten von einem anderen unterscheidet. Dort, wo die Marken reine Fantasieprodukte in den Medien sind, wo sie nur in Marketingabteilungen erdacht und mit trendiger Werbung verbreitet werden, sind sie besonders anfällig. Wo Marken tief verwurzelt in der Unternehmenskultur und fester Bestandteil der Produkte und Dienstleistungen des Unternehmens sind, haben es Angriffe einer Gruppe wie etoy schwerer, ins Schwarze zu treffen.

In Jungle World.

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