Weil das Ansehen von Marken sinkt, wird die Marke an sich beworben – egal welche. Von Holm Friebe, erschienen am 26.06.2003 in der Berliner Zeitung.
Der Erfolg multinationaler Konzerne, schreibt Naomi Klein in ihrem Bestseller “No Logo” aus dem Jahr 2000, lasse sich auf eine simple Idee zurückführen, nämlich “dass erfolgreiche Unternehmen in erster Linie Marken produzieren müssen, im Gegensatz zu Produkten”. Mit dieser Managementphilosophie im Gepäck, so die These, hätten Marketingleute in den 80er-Jahren die Machtübernahme in den Konzernen und bald in der Gesellschaft vorbereitet. Die übermächtigen Lifestyle-Marken werden als eigentliche Triebfeder der globalisierten Ausbeutungsverhältnisse vorgestellt. Als wirksame Maßnahme gegen ihre Macht empfiehlt Naomi Klein Strategien der symbolischen Intervention: Da Marken immaterielles Kapital darstellten, ließen sie sich wirksam nur auf der Imageebene angreifen – als eine Form mehr oder weniger intelligenter Bilderstürmerei. Viele Menschen haben das Buch damals gelesen und begonnen, mehr über ihre Turnschuhe nachzudenken. Die wenigsten haben sich am symbolischen Krieg beteiligt und etwa Plakatwände übermalt. Dennoch schient sich auf dem Feld etwas zu ereignen. Eine Hamburger Konferenz der Medien- und Werbebranche führte kürzlich den dramatischen Appell “Rettet die Markenwerte!” im Programm. Wenn heute von einer “Krise der Marken” gesprochen wird, dann hat das weniger mit den sporadischen Imageattacken “No-Logo”-inspirierter Aktivisten, umso mehr mit der gestiegenen alltäglichen Markenverweigerung ganz gewöhnlicher Konsumentengruppen zu tun. Es hat damit zu tun, dass die in “No Logo” angesprochenen Mechanismen der spirituellen Aufladung von eigentlich prosaischen Produkten in Zeiten der Rezession zunehmend schlechter funktionieren. Die Marktforschung spricht an dieser Stelle von “hybridem Konsumverhalten” und sagt eine Polarisierung der Märkte voraus, deren erstes Symptom der anhaltende Erfolg der Handelsmarken ist. Der Anteil dieser Eigenmarken von Handelsketten und Billig-Discountern wächst unaufhaltsam. In einzelnen Luxus- und Lifestyle-Segmenten können Marken noch an Wert zulegen. Auf breiter Front aber bricht das symbolische Kapital weg, das sie sowohl in den Börsenbewertungen der Firmen als auch im Bewusstsein der Konsumenten verkörpern. Seit 2000 sind die jährlich von Interbrand ermittelten Bewertungen der weltweit wertvollsten Marken (die nicht selten über die Hälfte des Firmenwertes ausmachen) im Schnitt rückläufig. Mit einer Imagekampagne für die Marke an sich, egal welche, versucht derzeit der deutsche Markenverband, der heute mit einer großen Gala in Berlin sein hundertjähriges Bestehen feiert, gegenzusteuern. Auf Anzeigen- und Plakatmotiven werden ausgewählte deutsche Markenprodukte wie Nivea oder Thomapyrin gezeigt. Der zugehörige Slogan lautet: “Die Marke. Etwas anderes kommt mir nicht in die Tüte.” Diese Gebrauchswertferne kommt selbst in der Branche nicht einhellig gut an. Ein Markenexperte kritisiert im Fachblatt Horizont, dadurch dass die Marke wieder mit Werbung “penetriert” werde, könne in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, sie würde sich “von billigeren Angeboten nur durch die Bekanntheit und folglich durch den Werbedruck unterscheiden”. Wohl wahr. Und mithin ein Indiz dafür, dass die Krise der Marken eine Krise der derzeit angewandten Markentechnik ist, deren ursprüngliches Programm der gern als Urfaust der deutschen Werbung apostrophierte Hans Domizlaff forsch und völkisch formuliert hatte: Markentechnik sei “die Kunst der Schaffung und Handhabung geistiger Waffen im Geltungskampf ehrlicher Leistungen und neuer Ideen um das Vertrauen der Öffentlichkeit”, schreibt er zum Auftakt seines “Lehrbuchs der Markentechnik” von 1939. Die Beherrschung dieser Waffen sei nicht nur für den heimischen Wettbewerb von Vorteil, “sondern gleichzeitig auch für die Selbstbehauptung einer großen Gemeinschaft außerhalb ihrer Grenzen”. Dieser Logik folgend und unbeeindruckt von der Krise der Markentechnik bemüht sich derzeit eine weitere Initiative, diesmal angeschoben von den Beratungsunternehmen Accenture, ECC Klothes Klewes und Wolff Olins, um ein “Rebranding” der “Marke Deutschland”. Vom Gros der grassierenden eigenmächtigen Mobilmachungen – letztes Beispiel: Meinhard Miegels “Bürgerkonvent” – hebt sie sich durch ihren markentechnischen Ansatz ab: “Das Ziel ist, unter professionellen Gesichtspunkten Deutschland als Marke weiterzuentwickeln und diese als Treiber und Katalysator der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Erneuerung ins Spiel zu bringen”, heißt es im Branchendeutsch. Wer einen Hammer hat, sieht überall Nägel. Ein mehrstufiger Prozess wurde angeschoben, der von der Identifikation des “Markenkerns” mit Ist- und Soll-Positionierung bis zur Kreation des neuen Images reicht. Ebenfalls heute und morgen sollen auf einem “Kongress der Generationen” in Berlin die Resultate vorgestellt werden. Schon vorher wurden in einem “Markenmanifest” zehn Thesen destilliert, die am Grundwiderspruch laborieren, dass die Ebenen von Marke und Produkt nur schwer zu trennen sind: “Die Marke Deutschland ist mutig und risikobereit”, heißt es da, aber auch: “Die neue Marke Deutschland ist Drehkreuz in Europa.” Mit “Machen wir! DeutschlandTM” liegt auch schon ein Claim vor, der sich leider nur unwesentlich von dem sich schon länger in Umlauf befindenden Slogan “Deutschland packt’s an!” abhebt. Die Kernidee aber kreist um den Begriff “Spielmacher” und um die Idee, Deutschland als einen solchen auf dem internationalen Parkett zu lancieren, sowie darum, ebensolche Vorbilder innerhalb Deutschlands zu identifizieren. Einmal abgesehen davon, dass angesichts der derzeitigen Leistung der Fußball-Nationalmannschaft die gewählte Metapher unfreiwillig nichts Gutes über den Zustand der “Marke Deutschland” aussagt – wenn neben Norbert Bolz und Henryk M. Broder auch Angela Merkel, Roland Koch, Gerhard Schröder und Joschka Fischer als vorbildliche “Spielmacher” benannt werden, zeugt das von einer beträchtlichen Ignoranz gegenüber den feinen Nuancen in der politischen Arena. Und es grenzt an Realitätsverlust, wenn die Macher sich ihrer vermeintlichen Teilerfolge rühmen: “Schon jetzt durchziehen die Gedanken unserer Thesen alle gesellschaftlichen Bereiche wie Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur.” Trotz oder wegen der bizarren Hybris, als Avantgarde einer nationalen Erneuerung aufzutreten, ist abzusehen, dass der Initiative für die neue Marke Deutschland das Schicksal völliger Wirkungslosigkeit beschieden sein wird. Einziger Effekt derartiger Vorstöße auf dem Feld der Massenkommunikation dürfte sein, dass das Misstrauen aufgeklärter Bewohner der Immobilie Deutschland gegenüber den Mechanismen der Markentechnik weiter geschürt wird. Und das hat, im Sinne von “No Logo” gedacht, vielleicht ja sogar etwas Positives. Das spirituelle Aufladen prosaischer Produkte funktioniert immer schlechter.
DDP/KATJA LENZ Ein Markenzeichen wird gegen Wegfliegen gesichert.