Taxi zum Klo

Bei möglichen Recherchen in einer Pariser Nobeldisko ließ sich Frederic Beigbeder nicht stören. Von Holm Friebe, erschienen am 17.07.2002 in Jungle World.

Es muss so um das Jahr 1993 herum gewesen sein. Wir fuhren zu dritt nach Paris, um einen Freund zu besuchen, der dort ein Austauschsemester an einer Eliteuniversität absolvierte. Leider hatte es der Freund vorher verabsäumt, uns über sein aktuelles Projekt in Kenntnis zu setzen, das darin bestand, in die obersten gesellschaftlichen Kreise von Paris vorzustoßen.

Dabei waren wir natürlich denkbar fehl am Platze, Klötze am Bein, Zeugen seiner unrettbar plebejischen Vergangenheit, die einen einholt, zumal wir damals zugegebenermaßen noch schwer unter dem Eindruck der dissidenten Jugendkulturen der Achtziger standen. Bereits am ersten Abend wurde diese oberflächliche Diskrepanz sehr akut.

Wir sind zu einer Soirée eingeladen, für die es einen strikten Dresscode gibt, den wir selbstredend um Äonen verfehlen. So stehen wir schließlich, in katastrophal sitzende Jacketts und viel zu enge Schuhe unseres Gastgebers gezwängt, in einer Beletage in unmittelbarer Nähe des Triumphbogens herum. Die verwöhnte Jeunesse dorée haut nach Leibeskräften auf den Schlamm und lässt ihre gute Laune je betrunkener, desto mehr am asiatischen Dienstpersonal aus, das nicht viel zu lachen hat an diesem Abend. Irgendwann kommen die Eltern nach Hause und bereiten dem unappetitlichen Spektakel ein Ende. Wir sind froh, als wir aus der Wohnung und den Klamotten raus sind. Der nächste Abend sollte eine Entspannung in der Bekleidungsfrage mit sich bringen.

Anberaumt ist eine Party irgendeines Modelabels in einem kleinen Barockpalais direkt an den Champs-Elysées, die unter dem Motto “Extraterrestien” steht. Um Verkleidung wird gebeten. Unsere Chance, unsere insuffiziente Garderobe durch Kreativität zu kompensieren! Leider bleibt uns dazu gerade mal eine halbe Stunde, weil wir uns verspätet haben und zum verabredeten Termin eine junge Comtesse treffen müssen, die sich bereit erklärt hat, uns hinein zu eskortieren. Als wir in der Schlange am Einlass stehen, kommen wir uns wieder sachte deplaziert vor. Ich trage ein Küchensieb vorm Gesicht, mein knapp zwei Meter großer HipHop-Freund hat einen grünen Stoffelefanten mit einem Toasterkabel auf den Kopf gebunden.

Die Leute um uns herum sehen wieder wahnsinnig aufgeschnittet aus, das Außerirdischste an ihnen ist ein Hauch ins Gesicht gestäubter Silberglitter oder ein paar lustige Weltraumfühler auf dem Kopf. Unser Gastgeber schämt sich mal wieder maßlos für uns, aber der Elefant ist der Renner des Abends.

Alle Top-Models wollen ihn streicheln, und wir werden von vielen Menschen mit platinfarbenen Kreditkarten zu Getränken eingeladen, die wir uns selbst nie hätten leisten können. Am dritten Abend, verfügt der Gastgeber, müssten wir ins “Les Baines Douches” gehen. Das sei der “ultimativste” Club von Paris.

Wer dort nicht einmal drin gewesen sei, der hätte sein Leben verpfuscht und könne gleich einpacken. Andererseits sei es so gut wie ausgeschlossen, an den Türstehern vorbeizukommen. Man müsse es halt dennoch versuchen. Wir versuchen es und scheitern prompt und erwartungsgemäß an einer dicken Kampflesbe, die uns mitteilt, dass es sich am heutigen Abend um eine “geschlossene Gesellschaft” handelt. Insgeheim sind wir nicht wirklich traurig drum.
Es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass an jenem Abend Frederic Beigbeder sich in jenem Laden aufhielt und Recherchen für seinen jetzt auf deutsch erschienenen Roman “Ferien im Koma” machte, der 1993 in Frankreich erschien. Warum das Buch erst jetzt auf deutsch erscheint? Weil es ein ziemliches Mistbuch ist und nur nachgelegt wird, weil Beigbeders letzter Roman “39,90″ ein Bestseller war.

Warum war das ein Bestseller, wenn der Typ offensichtlich nicht schreiben kann? Genau deshalb bzw. weil er darin die Werbebranche mit ihren eigenen Mitteln bloßstellt. Übrigens hat Beigbeder gerade für die Kommunistische Partei Frankreichs Wahlkampfwerbung gemacht – mit weitaus bescheidenerem Erfolg. Und wovon handelt bzw. wie geht jetzt “Ferien im Koma”? Will das wirklich jemand wissen? Also gut. Das “Les Baines Douches” heißt bei Beigbeder originellerweise “Klo”, nicht zu verwechseln jedoch mit der gleichnamigen Berliner Touristenfalle in der Nähe des Kudamms. Erzählt wird die rauschende Eröffnungsnacht, die in einer Art Massaker endet. Das Buch ist aus mehreren Gründen absolut unlesbar.

Einerseits hat man schon in der Grundschule gelernt, dass man eine Geschichte nicht mit “und dann und dann” erzählen darf. Das genau ist die Dramaturgie bzw. die fehlende Dramaturgie des Buches. Andererseits fallen Sprache und Sujet so unrettbar in die Frühphase der Neunziger, dass man schon einige Duldsamkeit aufbringen muss.

Wenn mit großem Interesse und Einfühlungsvermögen die Arbeitsweise eines DJ beschrieben wird mit: “Joss Dumoulin hat seine Epoche erkannt: Er produziert Patchwork”; wenn Sätze wie “Er kommuniziert telepathisch mit den pneumatisch pulsierenden Bässen” den Spirit einer ganzen Epoche veranschaulichen müssen; wenn sich jemand erzählerisch in der politisch und sozial unkorrekten Verkommenheit seines gewaltbereiten Diskopersonals suhlt, dann wirkt das heute ziemlich schal und abgestanden.

Da ist einem der eiskalte Nihilismus des späten Houellebecq allemal lieber als der moralinsaure und angstlüsterne Dekadenzvoyeurismus des frühen Beigbeder – gerade wenn er versucht, besonders abstoßend zu sein, um damit besonders konsequent zu wirken. Bret Easton Ellis lässt grüßen und lächelt einmal sardonisch über das flaue Plagiat.

Dass das Buch nichts taugt, hat auch der Autor begriffen, der sich im Vorwort für sein missratenes Frühwerk entschuldigt. An manchen Stellen aber interveniert er trotzig, verteidigt seine juvenilen Verirrungen und versucht zu retten, was zu retten ist. Irgendwann wird man dieses Buch vielleicht lesen können und mit einem wohligen Schauer vergnügt quieken: Ja, so waren die frühen Neunziger, schrecklich! Jetzt muss man einfach nur nüchtern kopfschüttelnd konstatieren: Ja, so waren die frühen Neunziger, schrecklich.

Frederic Beigbeder: Ferien im Koma. Rowohlt, Reinbek 2002, 155 S., 12 Euro

 

In Jungle World.

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