Viele Smarties

Trendguru Matthias Horx verkündet das Ende der Ausbeutung. Von Holm Friebe, erschienen am 11.07.2001 in Jungle World.

 

Als Hannsheinz Porst 1972 in seinem Unternehmen die “totale Mitbestimmung” einführte und alle 1 400 Mitarbeiter der Fotokette am Eigentum beteiligte, wurde er einhellig für bescheuert erklärt. Dass das Projekt 1982 scheiterte und haarscharf an der Pleite entlangschlitterte, war der bürgerlichen Presse eine Genugtuung. Der Rheinische Merkur schrieb damals exemplarisch: “Wer als blinder Sozialromantiker das Geld verschenkt, das Unternehmen und Arbeitsplätze sichern soll, hat vielleicht seinen Marx gelesen. Aber von der Notwendigkeit der Unternehmens-Absicherung hat er nicht viel verstanden.”

 

Heute würde Hannsheinz Porst als Smart Capitalist gelten, und damit als richtungsweisendes Unternehmervorbild – zumindest wenn es nach Matthias Horx ginge. Jenem Horx, der a) als Pflasterstrand-Redakteur begann, über Zeit-Magazin und Tempo-Redaktion zu Deutschlands führendem Trendforscher wurde, b) auch seinen Marx gelesen hat und auch irgendwie nicht ganz frei von blinder Sozialromantik ist und c) wirklich einigermaßen bescheuert sein muss (aber davon später) und d) gerade ein Buch über “Smart Capitalism” geschrieben hat.

 

Auf dem Cover ist ein fünfzackiger roter Stern abgebildet mit einem @-Zeichen darin, der Untertitel lautet: “Das Ende der Ausbeutung”. Und damit wäre auch weitgehend die zentrale These zusammengefasst. Der Antagonismus zwischen Arbeit und Kapital sei ein für allemal abgeschafft und werde demnächst nolens volens auch von der Old Economy entsorgt. Die New Economy sei zwar bis auf Weiteres platt und am Boden, dennoch habe sie in ihrem “kurzen Frühling der @narchie” die entscheidenden Pflöcke für die zukünftige Wirschaftsweise eingeschlagen, die Horx wahlweise als “Wissensökonomie”, “Next Economy” oder “Smart Economy” apostrophiert.

 

Anstelle der Interessenkonflikte des Industriezeitalters sieht Horx allerorten “Win-Win-Situationen”, in denen sich die Frontstellungen zwischen Arbeit und Kapital, Wirtschaft und Politik, Erster und Dritter Welt auflösen. Durch das Selbstverwirklichungsparadigma, das die New Economy auch am Arbeitsplatz durchgesetzt habe, sei nicht zuletzt die Unterscheidung in Produktion und Reproduktion, Arbeit und Leben obsolet.

 

Der alte Korporatismus wird abgelöst von einem neuen Kooperatismus, in dem alle einträchtig am selben Strang ziehen. Das Vakuum der Politik füllt die Corporate Citizenship: Man wird Bürger eines parastaatlichen Konzerns, an dem man Anteile hält, der einen mit Lebenssinn versorgt, und sich qua selbstauferlegter Verfassung – Code of Conduct – auf nachhaltiges gesellschaftliches und globales Engagement verpflichtet. Aus der Deutschen Bank etwa wird so ein “Charity-Konzern”. Ein Verbesserungsmulti.

 

Die Globalisierungsgegner von Prag, Davos und Seattle hätten zwar einen wichtigen Beitrag zur Durchsetzung dieses neuen Unternehmensparadigmas geleistet, könnten nun aber, da alles in trockenen Tüchern ist, abtreten, denn “in jedem Startup, in dem sich Menschen zusammentun, um mit Ideen die Welt zu verändern, steckt mehr emanzipatorische Kraft als in allen Globalisierungsklagen zusammen”.

 

Man könnte einwenden, dass gerade die Startup-Schnösel, die den Verlust ihrer unverdienten Millionen in Aktienoptionen gewärtigen müssen, larmoyanter sind als jeder aufrechte Stahlwerker, der durch die Standortverlegung seines Jobs verlustig ging, aber den Horxschen naiven Sozialromantizismus vermag das nicht auszuhebeln: “Die Idee der Smart Company ist ein Virus, dessen Ausbreitung nicht mehr zu stoppen ist. Alles nur eine Ausnahme?

Fast Company nennt das Gegenteil der Smart Company die ‘toxische Firma’. In ihr herrscht das Gift der Unehrlichkeit, des negativen Stresses, der Ausbeutung, der Panik vor dem Markt. Stell dir vor: Die Welt ist voll von toxischen Unternehmen – aber keiner geht mehr hin!” Schöne Vorstellung. Den neuen Kurs – weg vom Reich der Notwendigkeit ins Reich der Freiheit – bremst für Horx demnach auch nicht der hippe Globalisierungsgegner aus, sondern der ideelle Ostkellner: “Ostkellner reinkarnieren in Hausmeistern, Verwaltern, seelenlosen Bürokraten und sturen Handwerkern.”

 

Das ist so konsensfähig, dass man fast nicht widersprechen kann, auf der anderen Seite so populistisch, dass man fast keine Lust hat, zu widersprechen. Zumal wenn Horx aus der Ablehnung von Kleingeisterei und Mittelmaß direkt in eine Apologie des gesellschaftlichen Darwinismus verfällt: “Hier liegt der Grund, warum sich rechte Populisten und linke Globalisierungsgegner wunderbar verstehen und mit den selben Mechanismen der Angstabwehr arbeiten: Ihre Botschaft lautet: Bewahre die Grenzen – entweder die Grenzen der nationalen Ethnie oder die Grenze der sozialen Schutzgarantie. In dieser Logik brütet die Gleichheitskultur des Spätkapitalismus geradezu epidemisch einen Menschentypus aus, auf dessen Mentalität die schrecklichsten Blüten blühen: den kleinen Mann. Der kleine Mann bezieht seine Identität ausschließlich aus seinen Ängsten.” Usw.

 

Mit diesem abschreckenden Beispiel wedelnd und dem hermetisch-naiven Fortschrittsoptimismus seines Berufsstandes im Rücken, versteigt Horx sich zu einem euphorischen Marktradikalismus, wie er nur einem gehirngewaschenen 68er ansteht. Das klingt dann etwa so: “Die Öffnung der Märkte muss weitergehen, damit der Zwang zur Innovation anhält, der im Kern die Nachfrage nach menschlicher Intelligenz bedingt.”

 

Seinen Thesen – “Auswüchse wie BSE, atomare Unfälle, global warming entstehen nicht aufgrund von Marktgesetzen, sondern weil der Markt nicht funktioniert” – würden heute nicht mal mehr hardcoreliberale Wirtschaftswissenschaftler uneingeschränkt vertreten. Auch sie müssen die Existenz von strukturellem Marktversagen in verschiedenen Bereichen einräumen und zähneknirschend das Primat der Politik anerkennen. Nicht so Horx.

 

Für ihn ist der freie Markt nicht nur Allheilmittel, sondern anthropologische Konstante, gipfelnd in der Aussage: “Die Furcht vor dem Markt ist die Furcht vor dem Leben.”

 

Das kann man, denke ich, einfach mal so stehen lassen. Erfrischend dagegen, wie in dem gerade erschienenen hübschen Bändchen “Verdammt sexy – Die Mediengestalter in der Krise” der Webdesigner Timothy Speed aus Insiderperspektive den Gute-Laune-Terror seziert und damit Horx’ zentraler These das Wasser abgräbt. “Wenn also die New Economy”, so Speed, “den Spaß in der Arbeit verordnet, dann ist das alles andere als lustig. Es stellt einen eklatanten Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter dar. Nämlich das Recht darauf, die Arbeit nicht immer spannend, witzig, aufregend und unterhaltsam zu finden, aber sie dennoch zu tun.” Vielleicht ist das wirklich mal eine smarte Auffassung von Kapitalismus.

 

Matthias Horx: Smart Capitalism – Das Ende der Ausbeutung. Eichborn, Frankfurt/M. 2001, 204 S., DM 44


Timothy Speed: Verdammt sexy. Die Mediengestalter in der Krise. BoD, Norderstedt 2001, 163 S., DM 29,90

In Jungle World.

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