Zivile Drohnen

Erschienen am 13. Mai 2013 in SPEGMA auf ARTE Creative.

Es hat schon so etwas wie Fanal-Charakter, wenn Chris Anderson, langjähriger Chef des WIRED-Magazins und Autor einflussreicher Internet-Ökonomie-Bücher wie “The Long Tail” und “Free”, seinen Theorie-Job an den Nagel hängt, um sich ganz der praktischen Umsetzung eines Trends zu widmen. Mit seinem jüngsten Buch “Makers” über die Fabbing- und DIY-Entrepreneur-Szene verabschiedete er sich bis auf Weiteres aus dem Schreib-Business, um sich ganz seiner Garagenfirma 3D Robotics zu widmen, die zivile Drohnen herstellt. Angekündigt hatte sich seine Faszination für das Thema bereits 2007, als Anderson die Community DIY drones ins Leben rief, ein Sammelbecken für Drohnen-Bastler mit heute knapp 40.000 Mitgliedern. Wahrscheinlich hat Anderson wieder einmal den richtigen Riecher für ein großes Thema gehabt, das durch die Diskussion um den militärischen Einsatz von Drohnen nur überschattet wurde.

Innerhalb des Maker-Movements markieren die Fans der “Unmanned Aerial Vehicles” (UAVs) eine der lebendigsten Fraktionen, die längst weit über die traditionelle Szene der Modellflieger hinausreicht. Analog zum Preisverfall bei 3D-Druckern sind auch die Zutaten, die man braucht, um zum UAV-Piloten zu werden, inzwischen billig zu haben. Professionelle Quadrocopter, wie sie auch das US-Militär benutzt, gibt es aus chinesischer Fabrikation längst unter 1000 €, die Anleitungen zum Eigenbau und Tuning kursieren frei als Open-Source-Material, und Smartphones mit Gyrosensoren bilden eine billige Art der Fernsteuerung.

Unbescheiden, wie es seine Art ist, schrieb Anderson als eine seiner letzten Amtshandlungen bei WIRED Mitte 2012 darüber (“How I Accidentely Kickstarted the Domestic Drone Business”) und wagt die Prognose: “Wir können mit einiger Sicherheit sagen, dass Drohnen die erste Technologie in der Geschichte sind, bei der die Spielzeugindustrie den militärisch-industriellen Komplex auf seinem eigenen Feld schlagen wird.” Noch sei das Hauptmotiv der Amateure – wie auch in den Anfangstagen der PC-Ära – der Spaß am Herumexperimentieren, “simple, geeky fun”. Wie beim PC sei das aber nicht negativ zu werten, sondern notwendige Vorbedingung, damit die kritische Masse an Erfahrung für das bevorstehende “Drone Age” angesammelt werden kann: “Genau wie die 1970er die Geburtsstunde für den Aufstieg des Personal Computers waren, werden wir noch in diesem Jahrzehnt das Erscheinen der persönlichen Drohne erleben.”

Erste Anwendungsfälle für eine produktive zivile Nutzung lassen sich problemlos finden. Anderson schreibt: “Die Filmindustrie setzt bereits auf ferngesteuerte Copter, die als Kameraplattform dienen; sie haben eine größere Reichweite als Kräne und sind billiger und sicherer als bemannte Helikopter. Die ersten Farmer setzen Drohnen ein, um ihre Felder zu überwachen und den Einsatz von Wasser und Düngemitteln zu optimieren. Es gibt unzählige wissenschaftliche Einsatzmöglichkeiten, von der Beobachtung des Algenwachstums in den Meeren bis zur Messung der Sonnenrückstrahlung des Amazonas-Regenwaldes aus niedriger Höhe. Andere nutzen ihre Vorteile, um den Wildbestand zu überwachen, bedrohte Tierarten zu tracken oder störungsfrei Nistplätze zu kartieren, um sie besser zu schützen.

Nachdem die technischen Lösungen zusehends besser und billiger werden, ist das gravierendste Hemmnis für den Einsatz auf breiter Front – ähnlich wie beim selbstfahrenden Auto – juristischer Natur. Bislang gelten für sie die Regeln des Hobby-Modellfluges, das heißt für die USA, sie dürfen nur auf freiem Feld mit Sichtkontakt und unterhalb von 400 Fuß geflogen werden. Paragraph 16 der deutschen Luftverkehrsordnung regelt, dass unbemannte Flugobjekte nicht schwerer als 25 Kilogramm sein dürfen, nicht höher als 100 Meter fliegen und nur “zum Zweck des Sports oder der Freizeitgestaltung betrieben werden” dürfen. Das ökonomische Argument eines versperrten Multi-Milliarden-Dollar-Marktes könnte zumindest in den USA jedoch dazu führen, dass die US-amerikanische Luftfahrtbehörde FAA in den kommenden Jahren ihre restriktive Haltung aufgibt und einen begrenzten kommerziellen Einsatz auch in besiedelten Gebieten zulässt.

Schwerer als Sicherheits- und Haftungsfragen wiegen Bedenken hinsichtlich der Privatsphäre. Die Sorge bezieht sich nicht nur auf pubertierende Teenager, die damit Mitschüler ausspionieren, oder Paparazzi, die damit in die Privatsphäre von Promis eindringen könnten. Auch zur Industrispionage und zur Flankierung organisierter Verbrechen bis hin zum Terroreinsatz sind Drohnen die perfekten Werkzeuge. Umgekehrt fürchten Bürgerrechtler die Ausdehnung der staatlichen Überwachung durch den Einsatz von Polizei-Drohnen im öffentlichen Raum. Die Vorstellung eines allsehenden Staates mit tausenden schwebenden Augen (“Eyes in the sky”) kommt dem Orwellschen Albtraum schon ziemlich nahe. Wer sich an die Debatte um Googles “Street View” erinnert, ahnt, welche Debatte, befeuert durch berechtigte Sorgen und irrationale Ängste, demnächst auch in Deutschland auf uns zurollen dürfte. Von der “ZEIT” wird sie jedenfalls schon einmal vehement eingefordert.

Den Gegenpol zum sorgenvollen Stirnrunzeln technophober Bildungsbürger markiert Faszination, die die dritte Dimension schon immer auf Zukunfts-Euphoriker ausgeübt hat. Arthur Brehmer imaginierte in “Die Welt in hundert Jahren” aus dem Jahr 1910 von Luftschiffen getragene Städte, die in angenehmer klimatischer Höhe über der Wüste schwebend neue Gebiete kolonisieren könnten. Die Science-Fiction der 1940er, 50er und 60er ist voll von Ein-Mann-Hubschraubern, fliegenden Autos und Luftrobotern. Hinzu kommen Vorstellungen “intelligenter Schwärme” autonom operierender technologischer Einheiten. Beide Sci-Fi-Phantasmagorien fließen in den Drohnen zusammen.

In greifbare Nähe rücken diese Visionen durch die Miniaturisierung von Autopilot-Systemen, die es überhaupt erst ermöglichen, dass Quadro-, Hexa- oder Octocopter stabil wie Kolibris in der Luft stehen können. Diverse Forschungszentren arbeiten daran, Drohnenschwärme lernfähig zu machen und ihnen Zirkuskunststückchen beizubringen. Die Bilder, die etwa aus der “Flying Machine Arena” der ETH Zürich nach außen dringen und auf Youtube Millionen Klicks generieren, sind ein eindrücklicher Beweis des dritten Clarkeschen Gesetzes, wonach “jede hinreichend fortschrittliche Technologie von Magie nicht zu unterscheiden ist.” In einem Video aus dem Oktober 2012 sieht man drei Quadrocopter, zwischen denen ein Netz gespannt ist, einen Ball hochwerfen, wieder auffangen, und in einen Basketball-Ring befördern, den zwei andere Quadrocopter tragen. In einem anderen halten Quadrokopter einen Ball wie mit Ping-Pong-Schlägern in der Luft. Dabei werden die Maschinen nicht ferngesteuert, als dass sie sich aneinander ausrichten und untereinander koordinieren. Bald wird man in der Zürcher Flugmaschinenarena ein vollwertiges Quidditch-Match beobachten können.

Der Preis für die größte Viralität geht jedoch nach Philadelphia. Forscher der Pennsylvania University ließen einen Schwarm Quadrocopters auf entsprechend präparierten Instrumenten (Synthesizer, Gitarre und Schlagzeug) das James-Bond-Motiv spielen. Das im Februar 2012 auf Youtube eingestellte Video erzielte über drei Millionen Klicks und war wochenlang Dauerbrenner auf Facebook.

Die enormen Sprünge bei Präzision und Koordination beflügeln unternehmerische Ambitionen,  unbemannte Flugobjekte zum Herzstück von Businessplänen zu machen. Nicht einhundert Prozent glaubwürdig kündigt “Always Innovating” mit der “MeCam” einen “Self Video Nano Copter” an, der aus der Handfläche startet, und sprachgesteuert Bild- und Videoaufnahmen von einem selbst schießt, die dann auf Facebook, Youtube und Google+ eingestellt werden können. Die absehbare Idee, einen Fast-Food-Lieferservice mittels Drohnen zu betreiben (“Tacocopter”), stammt natürlich aus Kalifornien, genauer gesagt aus San Francisco, und entpuppte sich schnell als Hoax. Was den Rest der Welt nicht davon abhält, weiter an fliegenden Pizzaservices herumzubasteln.

Die argumentierbar abgedrehteste und dabei gar nicht mal unplausible Zukunftsvision für den zivilen Drohneneinsatz entstand im Rahmen einer Summerschool für Entrepreneure an der Singularity University in Silicon Valley: ein „Internet of airborne things,“ eine Art luftgestütztes Rohrpostsystem. Der „Economist“ berichtet: „Der Plan sieht vor, ein Netz von autonomen Unmanned Aerial Vehicles (UAVs) zu bauen, die standardisierte Pakete transportieren können. Anstatt eine Drohne die Last direkt von Sender zu Empfänger tragen zu lassen, was ihre Reichweite übersteigen könnte, sind Basisstationen im Abstand von 10 Kilometern vorgesehen, zwischen denen lastentragende Drohnen zirkulieren. Nach Ankunft an einer Station würde die Drohne ihre ausgelaugten Batterien gegen einen voll aufgeladenen Pack eintauschen, bevor sie zur nächsten aufbricht. Das ‚Routing’ der Drohnen und die Aufteilung bestimmter Pakete auf einzelne Drohnen würde automatisch erfolgen, was Zustellungen über große Distanzen mit vielen Zwischenstops erlaubte. Es wäre, kurz gesagt, eine physische Implementierung des ‚Packet switching‘-Modells, nach dem Daten übers Internet verschickt werden, weshalb die Erfinder es ‚Matternet‘ getauft haben.“ Dieses Materienetz könnte in unwegsamen Regionen etwa in Afrika zum Einsatz kommen, um zeitkritische Transporte von Medikamenten oder Ersatzteilen abzuwickeln. Eine Vergleichsrechnung für eine ländliche Region Südafrikas ergab, dass ein Pilotprojekt mit 50 Basisstationen und 150 Drohnen billiger zu haben wäre als zwei Kilometer neu gebaute Straße. Großes Manko ist jedoch, dass nur Lasten bis maximal zwei Kilo über ein solches System transportiert werden könnten. Begrenzte Traglast und Reichweite dürften neben dem rechtlichen Riegel diejenigen Faktoren sein, die allzu hochtrabende Drohnenvisionen schnell zurück auf den Boden der Tatsachen holen, auch wenn der erste bemannte Quadrocopterflug bereits stattgefunden hat.

In den USA jedenfalls herrscht Goldgräberstimmung am Himmel. Eine häufig kolportierte Zahl besagt, dass der zivile und staatliche Markt für Drohnen und angelagerte Businesses in den nächsten zehn Jahren auf 90 Milliarden Dollar anwachsen könnte. Das DaVinci Institute, ein Zukunfts-Think-Tank, ist sich sicher, dass 2015 mittels Drohnen endlich doch die Ära des fliegenden Autos eingeleitet wird: „Flugdrohnen werden von FedEx und UPS für Pakete, von Pizza Hut für die Pizzalieferung, von Kroger und Safeways für die Zustellung der Supermarkteinkäufe eingesetzt werden. Darüber hinaus ermöglichen es Drohnen, Häuser komplett aus dem Infrastrukturnetz zu nehmen. Sie liefern Wasser und Elektrizität (in Form von Austauschbatterien), nehmen Hausmüll und Abwasser wieder mit und noch einiges mehr.“

Ganz oben in North Dakota, wo Privacy-Sorgen nicht so ernst genommen werden, haben sie an der University of Grand Forks den ersten Masterstudiengang für das Bauen und Fliegen von zivilen Drohnen. 90 Prozent der Studenten sind männlich, und man ahnt, dass sie große Teile ihrer Jugend vor Computerspielen verbracht haben. In der Drohnenindustrie sehen sie ihre große Chance, das Angenehme mit dem Einträglichen zu verbinden. “Die brauchen uns Drohnenpiloten,“ sagt einer von ihnen gegenüber einem ARD-Kamerateam, „die Nachfrage ist so groß, dass sie uns sechsstellige Jahresgehälter bieten!“  Momentan sind „die“ noch vorwiegend das US-Militär, das Piloten für seinen fragwürdigen Drogenkrieg in Afghanistan benötigt. Aber in Zukunft, so die Hoffnung, könnte Drohnenlenker ein angesehener und respektierter Beruf werden, in dem auch außerakademisch erworbene Skills zählen.

So melancholisch einen das Bild vor dem Rechner sitzender Pizzaboten stimmen mag, die anderen Couch Potatoes ihre Pizza per ferngesteuerter Drohnen anliefern, so charmant ist die Vorstellung, dass jedermann in Zukunft über eine private Drohne verfügt, die einen wie ein Haustier umschwirrt, beschützt, einem die Bierkästen in die Wohnung  trägt und eigenständig den Müll runterbringt.

 

Auf ARTE Creative.

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