Das Produkt lebt

Werbeagentur Aimaq Rapp Stolle über Werbung in Berlin, die Authentizität der Klitschko-Brüder und die Kunst, die Politik der SPD zu verkaufen. Von Holm Friebe, erschienen am 21.02.2004 in der Berliner Zeitung.

 

Sagt Werbung die Wahrheit?

 

ANDREAS RAPP: André ist dran.

ANDRé AIMAQ: Werbung sagt natürlich die Wahrheit. Wenn Werbung nicht die Wahrheit sagt, dann ist sie nicht erfolgreich. Wenn man tolle Kampagnen macht mit tollen Versprechen für ein Produkt, das die nicht einhält, dann kaufen die Leute das Produkt einmal, ein zweites Mal nicht. Die Leute sind ja nicht doof, die sind sehr viel schlauer, als selbst manche Werbetreibende glauben.

 

Ist das Ihr Problem: Werbung für Menschen zu machen, die eigentlich keine Werbung mögen?

 

AIMAQ: Was heißt keine Werbung mögen? Viele, die sagen, Werbung interessiert mich nicht, laufen mit einem fetten Adidas-Logo auf der Brust rum. In Wahrheit ist jeder beeinflussbar. Niemand hat etwas gegen Werbung. Jeder hat etwas gegen schlechte Werbung.

 ROBERT STOLLE: Wir sehen das weniger als Problem, sondern als Herausforderung. Dass man mit “Wäscht weißer als weiß” heute keinen mehr erreicht, ist ja auch eine positive Entwicklung. Da muss die Werbung eben insgesamt besser und intelligenter werden. Früher wurden Produkte mit ihren Eigenschaften angepriesen, heute geht es bei Werbung anscheinend mehr darum, positive Markenwelten zu entwerfen und im Bewusstsein zu verankern.

RAPP: Mittlerweile gibt es eher einen Trend, wieder mehr über das Produkt zu erzählen. Diese Lifestyle-Welten sind ja auch relativ austauschbar geworden. McDonalds wirbt mit Liebe, VW wirbt mit Liebe, Mini wirbt mit Liebe. Das ist natürlich immer ein bisschen übertrieben und wirkt mitunter extrem aufgesetzt. Die Leute interessiert schon wieder das Produkt, und die Aufgabe der Werbung ist, die Wahrheit gut zu erzählen. Es gibt mittlerweile so eine gewisse Sehnsucht nach Authentizität. Ein Vorwurf, gerade gegenüber authentischer Werbung, lautet, dass sie die Subkulturen ausbeutet.

 

Kaum hat ein Gorillaz-Song die Independent-Charts geentert, taucht er auch schon in einer Opel-Kampagne auf. . .

 

RAPP: Das ist echt übertrieben. Subkultur heißt ja nicht zuletzt deshalb Subkultur, weil sie sozusagen unter dem Radar fliegt. Werbung dagegen ist eigentlich immer Mainstream, man will ja mit ihr möglichst viele Leute erreichen. Und mit Subkultur erreicht man in der Regel nicht sehr viele Leute. Man nimmt sich manchmal Anleihen von dort, für gewisse Trendprodukte funktioniert das. Zum Beispiel bei Marken wie Levis, die sich einen Song nehmen, der wirklich mal ein Independent-Song war, und den bekannt machen.

 STOLLE: Gerade die Musiklabels haben inzwischen gelernt, das zu nutzen. Es ist ja nicht nur ein Gewinn für die Marke, sondern auch für den Künstler. Man weiß ja, wie schlecht es der Musikbranche geht. Die können mit Werbung mal richtig Geld verdienen und ihre Songs in die Charts bringen. Das haben sie früher nicht gemacht. Da wurden dann Songs von irgendwelchen Musikproduzenten in mittelmäßiger Qualität über die Spots gelegt. Mittlerweile ist die Qualität hervorragend, weil die beiden Szenen Musik und Kommunikation zusammenwachsen. Beide profitieren davon.

 

Auch in der Mainstreamwerbung fällt ein Trend auf – weg von den Heile-Welt-Motiven hin zu “authentischer” Werbung, schräge Typen von nebenan. . .

 

RAPP: Na ja, Authentizität ist ein zweischneidiges Schwert. Kein Verbraucher möchte den Spiegel vor die Nase gehalten bekommen. Die Typen, die in der BMW-Werbung zu sehen sind, sind nicht unbedingt die, die dann auch BMW kaufen. Das wiederum sind Leute, die sich so sehen wollen: eher ein bisschen jünger, ein bisschen sportlicher, ein bisschen weltoffener als sie tatsächlich sind. Richtig ist aber auch, dass Werbeklischeewelten, wie es sie früher zum Beispiel bei unserem Kunden Ferrero gegeben hat, die Leute heute eher langweilen. Die blonde Mutter mit strahlend weißen Zähnen und den blonden Kindern im schönen sonnigen Haus, schöne Musik dazu.

 

Dagegen haben Sie jetzt die Klitschko-Brüder ins Rennen geschickt.

 

RAPP: Das ist zum Beispiel ein Zeichen für Authentizität. In der Werbung für Tempo-Taschentücher, wo die Beiden auch auftauchen, sprechen sie nicht. Vermutlich, weil die Tempo-Leute Angst hatten. Bei uns sprechen sie Deutsch mit ihrem typischen Akzent, und das macht den Charme aus. Natürlich gab es bei Ferrero die Diskussion: Müssen wir das jetzt noch mal synchronisieren lassen? Wir haben sehr dafür gekämpft, dass die so bleiben wie sie sind, das macht den Erfolg aus.

 

Muss gute Werbung witzig sein?

 

AIMAQ: Nein, sie muss nur originell sein. Und mit Regeln brechen. Wie zum Beispiel die Werbung der HypoVereinsbank, die mit den Regeln der verlogenen klischeehaften Bankenwerbung gebrochen hat. Die Deutsche Bank hingegen macht gerade wieder eine ganz gruselige Kampagne. Humor kann helfen, Zugangsbarrieren abzubauen und aufzufallen.

 

Wenn man sich einen deutschen Werbeblock im Fernsehen anschaut – das ist ja mitunter nicht so lustig. Ist die deutsche Werbung immer noch so schlecht wie ihr Ruf?

 

AIMAQ: Sie hat ja das Problem, dass es bis vor zwanzig Jahren nur drei Fernsehsender gab und nur vor zwanzig Uhr geworben werden durfte. Die Engländer und Amerikaner haben da einfach einen meilenweiten Vorsprung. Den haben wir ein bisschen aufgeholt.

 

Macht man in Berlin automatisch bessere Werbung?

 

AIMAQ: Die Leute in Hamburg, früher in Düsseldorf, waren immer darauf fixiert: Was machen die denn in London? Wie sieht amerikanische Werbung aus? Man hat versucht, die dann zu kopieren. In Berlin interessiert das gar nicht mehr so. Man ist ein bisschen entspannter geworden und versucht, eigene Sachen zu entwickeln. Zusammen mit den vielen kreativen Leuten, die es in Berlin gibt. Es gibt so viele Filmleute hier wie in Hamburg und Düsseldorf zusammen. Es gibt Schriftsteller, Künstler. Das bringt eine Menge Anregungen.

 RAPP: Unter den etablierten Werbern gibt es viele, die Berlin nichts abgewinnen können und die kaum aus ihrer Eigentumswohnung in Harvestehude rauszulocken sind. Hier arbeitet ein anderer Typus von Menschen, tendenziell jüngere Leute, die noch was wollen, die sich der Herausforderung des Molochs Berlin stellen. Sie haben trotzdem mal versucht, mit einem Plakat direkt gegenüber der Hamburger Zentrale von Jung von Matt Mitarbeiter abzuwerben. Die Aufschrift war: “Ich geh nur mal kurz Zigaretten holen. ”

 RAPP: Eigentlich war das mehr ein kleiner Spaß, eine Stichelei gegen die Kollegen.

 

Gibt es so etwas wie einen Berliner Stil?

 

AIMAQ: Ich glaube ja. Für MTV haben wir mal einen Spot mit einem Gehörlosen gemacht, der erzählt, wie er Musikfernsehen wahrnimmt. Wir haben ihn hier zufällig kennen gelernt. Das wäre uns in Hamburg vermutlich nicht passiert.

 

Muss man für Berliner anders Werbung machen?

 

RAPP: Als wir vor fünf Jahren hierher kamen, waren wir erstmal ziemlich schockiert von der hiesigen Werbung. Der Alptraum waren zum Beispiel die Kampagnen für Berliner Radiosender, die waren auf einem so unterirdischen Niveau, dass man sich fragte: Was müssen hier für Menschen leben, die sich das antun lassen? Es gab hier eine Menge Filz, anders ist das nicht erklärbar.

 STOLLE: In Westberlin wurde ja früher alles subventioniert. Wir haben uns gewundert, für was für niedrige Preise hier gearbeitet wird. Deshalb existieren die meisten angestammten Agenturen ja heute auch nicht mehr – sie haben sich einfach viel zu billig angeboten.

 RAPP: Wir sitzen in Berlin, machen natürlich auch Werbung für das Berliner Publikum, aber haben kaum Kunden, die hier sitzen.

 STOLLE: Es ist ja nicht so, dass wir sagen: Wir richten die Kommunikation genau auf die Berliner aus. Das würde auch nicht funktionieren. Eher lassen wir uns von den Menschen, der Szene und der Stadt inspirieren.

 AIMAQ: Ich glaube aber, wir hätten zum Beispiel den Europaetat für die Sportmarke ASICS nicht gewonnen, wenn wir in Hamburg säßen. Als Hamburger Agentur gilt man als deutsche Werbeagentur. Mit Sitz in Berlin ist man eine Berliner Werbeagentur. Da kommen dann die Kunden aus Amsterdam auch gerne mal vorbei.

 

Wird den Hamburgern langsam mulmig?

 

AIMAQ: Total. Denen geht ganz schön die Düse. Im Ernst, wir befinden uns zurzeit in einer Phase des Umbruchs. Viele Topmanager von Hamburger Agenturen sind nach Berlin, manche sogar nach Düsseldorf gegangen. Alte Strukturen brechen auseinander. Das finden wir natürlich gut.

 STOLLE: Eines der Hauptprobleme der etablierten Branche in Hamburg ist, dass sie neuerdings so Sperenzchen machen: Sie versuchen, mit Gewalt an Kreativetats zu kommen und sind dafür sogar bereit, jahrelang umsonst zu arbeiten. Da muss man schon sehr verzweifelt sein. Das wirft ein sehr schlechtes Licht auf die ganze Branche. Wir als kleinere Agentur würden das nie machen, wir könnten uns das auch gar nicht leisten. Sie haben bislang nur für Konsummarken Werbung gemacht. Jetzt haben sie den Etat der SPD bis 2006 gewonnen.

 

Ganz schönes Neuland, oder?

 

RAPP: Ja, schon. Aber wir behandeln es nicht anders als sonst. Wir haben einen Kommunikationsauftrag, und das Produkt ist in diesem Fall die Partei. Der Unterschied ist natürlich, dass das Produkt lebt und größeren Schwankungen unterworfen ist.

 

Kann man denn Parteien wirklich behandeln wie MTV und Ferrero?

 

STOLLE: Kann man. Und muss man auch, denken wir. Früher haben diese Werbung jahrelang die vermeintlichen Politikprofis gemacht. Das Ergebnis waren zwei Köpfe auf dem Plakat und das Logo drunter. Dazu drei, vier Schlagworte wie Verantwortung, Sicherheit, Frieden. Das war keine besondere Leistung und hat ja letztlich auch nicht wirklich gewirkt. Man hat angekündigt: Das ist euer Kandidat. Wählt ihn oder wählt ihn nicht. Heute gilt auch hier: Wir haben ein aufgeklärteres Publikum, Menschen, die politischer denken, weil sie das schon in der Schule mitbekommen haben. Da geht es eben doch darum, Inhalte zu transportieren. Und die so zu vermitteln, wie wir es auch für Markenprodukte machen. SPD ist eine Marke, CDU ist eine Marke, die Grünen. . . Die haben alle Markenkapital.

 

Politikwerbung nimmt enorm zu. Da entsteht leicht der Eindruck, dass Leute ohne jedes politische Mandat die Linien der Politik mitbestimmen.

 

AIMAQ: Ich kann das nur aus unserer Sicht sagen. Wir sind ja auch ab und zu dabei, wenn beispielsweise der Parteivorstand tagt. Aber wir haben nicht ansatzweise die Chance, die Linie der SPD zu beeinflussen. Das ist nicht unser Job. Unser Job ist, uns zu überlegen, wie wir die Inhalte transportieren können. Das eine ist das Was, das andere das Wie. Unser Job ist das Wie.

 

Geht es um die Ästhetisierung von Politik?

 

AIMAQ: Was heißt Ästhetisierung? Generell werde ich eher angesprochen, wenn etwas schön aussieht, als wenn etwas nicht schön aussieht. Wir konkurrieren mit Mercedes und Co. , den ganzen tollen Sachen, wo tolle Fotografen für tolles Geld tolle Shootings machen, tolle Filme drehen können. Da müssen wir natürlich auch durchdringen. Und dafür muss man sich auch eine gewisse Ästhetik überlegen.

 

Von Walter Benjamin stammt der Satz: “Alle Bemühungen um die Ästhetisierung der Politik gipfeln in einem Punkt. Dieser eine Punkt ist der Krieg. “

 

STOLLE: Finde ich nicht richtig. Kennen Sie den Film “Wag the dog”, der davon handelt, wie ein Medienberater und ein Hollywoodproduzent – Robert de Niro und Dustin Hoffman – einem angeschlagenen Präsidenten mit einem simulierten Krieg den Wahlkampf retten?

 AIMAQ: Das ist so natürlich stark übertrieben, trifft aber den Kern der amerikanischen Mediengesellschaft. Sowohl Clinton als auch Bush haben ja durch Außenpolitik versucht, von ihren innenpolitischen Schwächen abzulenken.

 STOLLE: By the way gibt es auch deutliche Unterschiede zu unserer Arbeit. Was da beschrieben wird, ist ja eher Public Relations, das ist Öffentlichkeitsarbeit, die mit Sicherheit auch oft nicht ganz anständig ist. Wir machen in erster Linie klassische Kommunikation. Und verpacken Botschaften so, dass sie positiv rüberkommen. Gerade in der politischen Kommunikation ist es wichtig, dass bei dem vielen Hin und Her, den Intrigen, den politischen Schachzügen irgendjemand mal sagt, um was es hier wirklich geht. Diesen Kern arbeiten wir immer wieder heraus.

 

Was sind die Kernwerte der Marke SPD, die Sie kommunizieren wollen?

 

STOLLE: Der Markenkern ist nach wie vor das Thema “Soziale Gerechtigkeit”. Das ist der Urkern der SPD, der natürlich heute inhaltlich neu aufgeladen werden muss. Das werden auch andere so sehen.

 

Wie haben Sie sich im Pitch durchgesetzt und den Vorstand davon überzeugt, Ihnen die Zukunft der Partei anzuvertrauen?

 

AIMAQ: Wir haben eine sehr gradlinige Präsentation gehalten. Keine fünf verschiedenen Kampagnen präsentiert, sondern zu der Aufgabenstellung, die es gab, ganz klare Empfehlungen abgegeben. Wir haben einen Claim präsentiert, und den auch durchgezogen durch alle Werbemittel. Damit haben wir überzeugt.

 

Der von Ihnen erfundene Claim heißt: Das Wichtige tun.

 

STOLLE: Der war mit Sicherheit ein ausschlaggebender Punkt. Der Bundeskanzler, damals noch Parteichef, ist in der anschließenden Diskussion sofort drauf eingegangen und sagte sinngemäß: “Das ist ja im Prinzip genau das Richtige, was wir in den nächsten Monaten machen müssen, nämlich das Wichtige. “

 

Der Claim hat sich bei der Präsentation also direkt durchgesetzt. Was hat Gerhard Schröder sonst noch gesagt?

 

AIMAQ: Er hat am Ende nur genickt und gesagt: “Dann müssen wir das ja jetzt nur noch entscheiden. ” Alles andere unterliegt der Geheimhaltung.

 

Sie können also auch wenig zu der Kampagne sagen, abgesehen von den Motiven, die es schon gibt.

 

AIMAQ: Wir haben die “Herz und Verstand”-Kampagne präsentiert, die im Prinzip auch eins zu eins umgesetzt wurde. Zur Europawahl gab es neue Vorgaben, die wir gerade umsetzen. Aber dazu dürfen wir noch nichts sagen.

 RAPP: Da hat man in der Tat den Unterschied zu anderen Produkten. Man kann nicht sagen, wir entwickeln einmal eine Kampagne, und die nächsten Jahre läuft das dann. In der Politik geht es ja eigentlich erst los, wenn man so einen Pitch gewonnen hat, weil das Produkt sich danach ändert und weiterlebt.

 

Das Wichtige tun – klingt ja erstmal etwas sperrig. . .

 

AIMAQ: Als damals der Claim “Otto . . . find ich gut!” präsentiert wurde, wollte keiner der Kreativen in den Credits genannt werden. Umgekehrt muss man sagen, dass dieser Claim gerade deshalb hängen bleibt, weil er sperrig ist. Die glatt formulierten Allerweltsfloskeln, die alle so an einem vorbeirauschen und keinen Haken haben, verpuffen schnell. In unserem Claim steckt ja eigentlich drin: Das Richtige tun. Das heißt: Wir haben erkannt, was richtig ist. Gleichzeitig setzen wir eine Priorität: Das Wichtigste zuerst. Diese beiden Facetten kommen zusammen. Das bezieht sich sowohl auf eine Reform der Sozialsysteme als auch auf Außenpolitik.

 

Hat der Claim das Zeug zum Klassiker?

 

AIMAQ: Es ist ja bei einem neuen Claim nie so, dass alle am Anfang jubeln. So ein Claim muss erst wachsen, der muss sich festsetzen. Er wird über die Inhalte aufgeladen und hat dann vielleicht das Zeug, zum Klassiker zu werden.

 

Willy Brandts Slogan von 1969 hieß: “Wir schaffen das moderne Deutschland. ” Den hätte man doch einfach recyceln können.

 

AIMAQ: Da gibt es heute schon eine neue Qualität. Ich finde zum Beispiel auch den Claim der Grünen “Grün wirkt” sehr gut. Er passt irgendwie zu den Grünen. “SPD wirkt” wäre vielleicht ein bisschen zu flapsig.

 

Das Einzige, was mich daran stört, ist, dass es im Grunde unser alter MTV-Claim ist, nämlich “MTV wirkt”. Ist das ein Plagiatsvorwurf?

 

AIMAQ: Absolut.

 

Wann beginnt der Wahlkampf für die Wahl 2006?

 

AIMAQ: Wir sind im Prinzip ständig im Wahlkampf. Aber richtig heiß wird es erst sechs Monate vorher.

 STOLLE: Im Prinzip hat der Wahlkampf seit der letzten Bundestagswahl nicht aufgehört, weil sich die CDU einfach nicht mit ihrer Niederlage abgefunden hat. Man hat ja das Gefühl, dass sie durchweg attackieren. Der Wahlkampf läuft längst. Der 1998er SPD-Wahlkampf gilt als Meilenstein in der Geschichte der Wahlwerbung, als erster nach amerikanischem Vorbild durchdramatisierter Wahlkampf. 2002 stand ganz im Zeichen der aktuellen Debatten, mit einem spektakulären Stunt in der Außenpolitik zum Schluss.

 

Kann man schon irgendwelche Prognosen für die nächsten Phasen bis 2006 abgeben.

 

STOLLE: Im Frühjahr 98 waren die Umfragen ganz ohne Kommunikation so ausgezeichnet, dass man die Wahl auch mit einem Grinsebild und einem Schlagwort gewonnen hätte.

 AIMAQ: Die SPD agierte ganz klar aus der Position des Angreifers heraus. Es gab ein klares Feindbild, Helmut Kohl. Und es herrschte eine allgemeine Kohl-Müdigkeit vor. Wenn man so einen klaren Gegner hat, kann man das natürlich sehr zugespitzt machen. Man konnte den Stilbruch in der Werbung wagen. Der 2002er Wahlkampf fand aus der Regierungsposition heraus statt, wobei die Opposition leider wenig zu bieten hatte. Ich hätte ja gedacht, dass die Union dazu gelernt hätte, und Herr Stoiber auch professioneller vorgehen würde. Stattdessen gab es ganz gruselige Motive mit einem fiesen Foto von ihm und Parolen, die man sofort wieder vergessen hat. Eine Rolle spielte sicher, dass die CDU eine eigene Agentur hatte. Und was viel entscheidender war: Sie hatten niemanden in den eigenen Reihen, der diese Agenturen mal ein bisschen gefordert und zur kommunikativen Zuspitzung gedrängt hätte. Für die Politik gilt, was auch für jede Marke gilt: Außergewöhnliche Kommunikation entsteht immer dann, wenn an beiden Seiten des Tisches gute Leute sitzen.

 

Die SPD hat 2002 mit Bildern des staatsmännischen Kanzlers in relativ düsterer Ästhetik gearbeitet.

 

AIMAQ: Ich habe schon damals gesagt, dass ich die Visualisierung nicht unbedingt optimal finde. Da wurde eher Distanz, die Isolierung der Macht, inszeniert. Und das will keiner sehen.

 STOLLE: Schröders Stärke, wenn man ihn erlebt, ist ja nicht die des Einzelgängers, der im Fond dunkler Limousinen telefoniert oder nachts allein im Büro sitzt. Er hat schon eine gewisse Nähe zum Volk und packt mit an. Man hat das bei der Flutkatastrophe vorletztes Jahr gesehen, wo Stoiber sich so ein komisches Lächeln abgekniffen hat, während Schröder mit aufgekrempelten Ärmeln mittendrin stand. Das ist in der Kommunikation ein bisschen untergegangen. Diese Stärke hat man gar nicht genutzt. Mit der Kommunikation allein hätte Schröder die Wahl nicht gewonnen. Es sind einige Themen zusammengekommen: Flutkatastrophe, Irakpolitik. . .

 RAPP: . . . die Fußball-WM nicht zu vergessen.

 

Sie werden Schröder also mehr als “Hol mir mal ne Fasche Bier”-Kumpeltypen ins Bild setzen, denn als Hindenburg?

 

AIMAQ: Sie wollen uns aufs Glatteis führen. Das überlegen wir uns 2006.

 STOLLE: Da fließt auch noch viel Wasser die Spree runter.

 

Der SPD-Chef heißt in Zukunft nicht mehr Schröder, sondern Franz Müntefering. Ist er ein guter Werbeträger für das Produkt SPD?

 

AIMAQ: Franz Müntefering ist eine glaubwürdige Persönlichkeit, die weit über die SPD-Basis hinaus strahlt. Seine Stärke ist seine große Authentizität. Er ist eine Persönlichkeit mit Ecken und Kanten, die in der Lage ist, Dinge rhetorisch so zuzuspitzen, dass jeder sie versteht. Seine kommunikativen Stärken konnte man zum Beispiel beim letzten Parteitag erleben: “Fraktion ist gut, Partei auch”, das hat mehr gesagt als tausend Worte.

 

Was für Konsequenzen hat der Wechsel an der Parteispitze für Ihre Arbeit ?

 

STOLLE: Da sich die Linie der Politik der SPD nicht geändert hat, hat sich auch für uns nichts dramatisch geändert. Allerdings haben wir mit Kajo Wasserhövel als Bundesgeschäftsführer und Klaus Uwe Benneter als Generalsekretär jetzt neue Ansprechpartner kennen gelernt. Die ersten Meetings mit ihnen waren sehr inspirierend und fruchtbar.

 

Wählen Sie selbst SPD?

 

AIMAQ: Bei der Präsentation haben wir gesagt, dass wir keine SPD-Mitglieder sind, nicht mit dem Parteibuch winken können, nicht mit siebzehn Jusos waren, aber dass wir immer SPD gewählt haben. Ob wir das wieder tun würden, hinge vom Ausgang der Präsentation ab. Wahrscheinlich hat sie das nicht unbeeindruckt gelassen.

Das Gespräch führte Holm Friebe.


Zu den Personen // DIE AGENTUR Aimaq Rapp Stolle (ARS) wurde 1998 von den drei Namensgebern in Berlin-Mitte gegründet und taucht seither regelmäßig im Ranking der kreativsten Deutschen Werbeagenturen auf. Inzwischen arbeiten über 60 Mitarbeiter dort und bei dem angegliederten Internetableger namens Baudhaus. Zu den ersten Kunden zählten Nike und Heineken, hinzugekommen sind bis heute unter anderem Degussa, Ferrero und seit Jüngstem die SPD. Anfang des Jahres hat ARS die Sportmarke ASICS gewonnen und ist damit die einzige Berliner Werbeagentur, die eine europaweite Kampagne verantwortet. ANDRé AIMAQ (36), kreativer Kopf von ARS, ist Mitglied im Art Directors Club und war 2000 in der Jury des Werbefilmfestivals in Cannes. Zu seinen Stationen zählen Ogilvy & Mather, KNSK, zuletzt Springer & Jacoby in Hamburg. ANDREAS RAPP (37) ist bei ARS für Kundenberatung zuständig. Daneben unterrichtet er als Gastdozent an Berliner Unis und am Deutschen Modeinstitut. ROBERT STOLLE (39) war lange Jahre Mitglied der Geschäftsleitung von Scholz & Friends, Hamburg und betreute dort die beiden größten Kunden der Agentur Reemtsma und BMW, bevor es ihn in die Selbstständigkeit zog. Foto (2) : Erfolgreiche Werbetroika: André Aimaq, Andreas Rapp und Robert Stolle (von links) dieser Tage in Berlin. Motiv aus einer Kampagne von Aimaq Rapp Stolle für die SPD.

In der Berliner Zeitung.

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