Die Poster im Original

Das New Yorker Museum of Modern Art wird umgebaut. Deswegen gibt es seinen Inhalt nun in Berlin zu sehen. Von Holm Friebe, erschienen am 03.03.2004 in Jungle World.

 

In seinem soeben erschienenen Buch “Die Zukunft der Weltwirtschaft” schreibt der MIT-Professor Lester Thurow über amerikanische und globale Kultur: “Der Eindruck, dass zu viel von der sich neu entwickelnden globalen Kultur durch Amerika vermittelt wird, trifft zu, doch die Annahme, dass es sich in zu vielen Fällen um Exporte der traditionellen amerikanischen Kultur handelt, ist falsch. Zwar wird ein großer Teil der neuen globalen Kultur in Amerika aufgebaut, aber mehr als die Hälfte der Bestandteile stammt aus anderen Gegenden. Durch diese neuen globalen Komponenten ändert sich die traditionelle amerikanische Kultur so rasch wie jede andere der Welt – wenn nicht rascher. Im Wesentlichen importiert Amerika Kulturen, modifiziert sie und exportiert dann seinerseits eine neue globale Kultur.” Und es funktioniert ja; wenn man sich etwa die Expansion von »Starbucks« anschaut, den irritierend erfolgreichen Reimport amerikanisch transformierter Kaffeehauskultur nach Europa.

 

Aber funktioniert das auch mit dem, was einmal die Hochkultur war, namentlich der bildenden Kunst? Ist die Ausstellung “MoMA in Berlin” das “Starbucks”-Konzept auf die Kunst übertragen, der erfolgreiche Reimport europäischer Avantgardekunst des 20. Jahrhunderts unter neuem Label? Ist tatsächlich eine neue amalgamierte Kunst entstanden, im Sinne einer globalen Kultur, eines “International Style”, der jetzt von Amerika aus nach Europa zurückverkauft wird? Beziehungsweise: Ist mit den Ikonen der europäischen Moderne etwas “passiert”, nachdem sie von Amerika absorbiert wurden? Ja und nein. Das heißt: logisch, sowieso.

 

Neu ist auf jeden Fall die Art der Inszenierung, mit der die Marke MoMA in der Stadt penetriert wird. Schon Monate vor Beginn war im Zuge einer veritablen Teaser-Kampagne “Das MoMA ist der Star” in der gesamten Stadt plakatiert. Die markante 3D-Typo stammt von der Agentur MetaDesign, ebenso wie die eigens geschaltete Website und das universelle Pink, welches stark dem Telekom-Magenta ähnelt, obwohl der Hauptsponsor doch Deutsche Bank heißt. Und die Blockbuster-Mechanik, die “Talk of the Town”-Logik, die in New York selbst vor allem dann einsetzt, wenn es irgendetwas aus Old Europe zu besichtigen gibt, scheint zu funktionieren.

Schon von fern begegnen einem am Dienstagvormittag nach der Eröffnung frisch initiierte Botschafter des MoMA, die in pinken Plastiktüten pinke Merchandising-Artikel nach Hause tragen. Die Eingangsschlange windet sich einmal um den Sockel des Nationalgalerie-Pavillons. Würstchenbuden und Drehorgelspieler machen das ganze zu dem Volksfest, über das dann auch Bild nicht schweigen kann und ganzseitig berichten muss. Wobei bei all dem der Verdacht nahe liegt, dass das, was die Menschen anlockt, weniger mit der Marke und der Institution des New Yorker Museum of Modern Art zu tun hat, dessen Renovierung die Ausstellung ermöglichte, noch weniger mit Amerika und dem Verhältnis der Deutschen dazu, was sich die Schirmherren Colin Powell und Joschka Fischer davon versprechen, und mehr mit dem, was man an Kunst aus der Dekoabteilung von Baumärkten kennt. Es geht um den Wunsch, die heimischen Postermotive dadurch zu nobilitieren, dass man sie nun auch “im Original” gesehen hat.

 

Die Ausstellungsarchitektur trägt diesem – ja nicht illegitimen – Bedürfnis vollauf Rechnung, und um die sattsam zu Tode reproduzierten Werke ist es ja ohnehin geschehen – ähnlich wie um die großen Werke der klassischen Musik, die allzu oft in Werbespots zu hören waren. Die große Klammer des “MoMA und wie es die Kunst sieht” zerfällt allerdings in ein gesprengtes Triptychon, das kaum zu kitten ist und mehr über Sonderwege denn über Wechselwirkungen erzählt. Der Mittelteil, der die Hauptachse bildet, trägt dem erwähnten Bedürfnis der großen Masse Rechnung, all das wiederzuerkennen, was man eh schon kennt- ein Parcours, dessen Aufgabe es ist, das, was einmal das Nichtidentische war, in Identisches zu verwandeln. Hier hängen und stehen sie, die Picassos, Chagalls, Klimts, van Goghs und Matisses. Und lassen einen erstaunlich ungerührt. Die Auren – oder das, was von ihnen übrig ist – überlagern sich wie die Interferenzmuster von verschiedenen Tonquellen und löschen einander aus. Das einzige, was einen mitunter frappiert, sind die Größenordnungen, die die Reproduktion ja nicht mitliefert. So wundert man sich über die Blow-up-Plakat-artigen Ausmaße der Manet’schen Seerosen ebenso, wie über das fein ziselierte Miniaturformat des wegen seiner Brachialsymboik der zerfließenden Uhren vermutlich am häufigsten reproduzierten Dali-Motivs “Die Beständigkeit der Erinnerung”. Der Matisse-Raum mit dem totesten aller Kunstwerke “Der Tanz” macht deutlich, woher das Pink für die Ausstellung stammt: Es ist nicht das Telekom-Magenta, sondern das Pink von Matisse, das in unterschiedlichen Schattierungen alle Werke durchzieht, und so gut mit der knallbunten Tagesdecke von Ikea korrespondiert.

 

Hilfesuchend wendet man sich dem rechten Flügel der Ausstellung zu, der neben den europäischen Konstruktivisten auch ein paar Abweichler und Sonderlinge versammelt. Darunter jene Trotzkisten der Avantgarde, die das im zwanzigsten Jahrhundert populäre Geniespiel und den Aurakult nur bis zu einem bestimmten Punkt mitmachten oder gar sabotierten. Francis Picabias “In Erinnerung sehe ich sie wieder, meine liebe Undine” von 1914 etwa wirkt wie eine frühe, verspielte und farbenfrohe Parodie auf den ambitionierten Formalismus der Kubisten – und dadurch ungleich trostspendender als die Braques nebenan. Marcel Duchamps Fahrrad-Rad erfrischt allein dadurch, dass es sich nicht um “das” Original handelt – die erste Version ging 1913 verloren –, sondern um die Replik von 1951. Im Kontext der Ausstellung wirkt allein diese Tatsache nachgerade subversiv. Unklar ist, wie sich der Gerhard-Richter-Zyklus “18. Oktober 1977″, der 1988 nach Stammheim-Motiven entstand und den Schlusspunkt dieses Flügels bildet, dort einfügt. Politisch sei das nicht zu verstehen, wie der Künstler nicht müde wird zu betonen und die Zeitungen nicht müde zu schreiben. Zwangsläufig wirkt es hier aber politisch, vergegenwärtigt man sich den politischen Kontext der Ausstellung, der bei aller inszenierten Harmonie ja durchaus mit Terrorismus zu tun hat. Ein kleiner Denkzettel ans Gastgeberland vielleicht. Rein formal ist es jedenfalls der eindrucksvollste Raum der Ausstellung, zumindest dieses Teils.

 

Und vielleicht ist es kein Zufall, dass dieser Zyklus die größte in der Ausstellung mögliche räumliche Distanz zu einem anderen Werk einnimmt, das in seiner Radikalität ebenfalls noch zu verstören vermag: Jackson Pollocks “No1A” von 1948 bildet den Höhepunkt des zweiten Flügels, der schwerpunktmäßig den Amerikanern gehört. Von Hopper über Pop-Art bis zur Neuen Amerikanischen Malerei ist hier alles versammelt, was keine oder kaum eine Entsprechung auf dem alten Kontinent hatte. Pollocks “No1A”, mit dem Anspruch, auf eine sinnfällige Titelzeile zu verzichten und den Neuanfang des Informell zu wagen, zeugt von dieser erstaunlichen Begabung gerade der amerikanischen Kultur, Überkommenes abzustoßen und reinen Tisch zu machen. Das verbindet Pollock vielleicht mit Duchamp und trennt ihn vom Rest der Ausstellung. Vieles wirkt gerade dadurch ephemer, dass es zur Ikone erstarrt ist. Dieses vielleicht wichtigste Werk der Ausstellung dagegen lässt sich schlecht reproduzieren, man muss es im Original sehen, und allein deshalb lohnt der Besuch. Bezeichnenderweise gibt es im Museumsshop kein Poster von “No1A” zu kaufen, ebenso wenig wie von Richters Stammheimzyklus.

 

In Jungle World.

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