Die Ästhetik der Ökonomie

In den Hamburger Deichtorhallen positionieren sich Künstler zur und in der Kulturindustrie. Von Holm Friebe, erschienen am 24.04.2002 in Jungle World.

 

Um die vorletzte Jahrhundertwende herum war es noch einfach, Wirtschaft in Kunst zu verwandeln. Adolph von Menzels großformatiges “Eisenwalzwerk” von 1875 etwa zeigt Arbeiter der schlesischen Königshütte im Stil eines barocken Schlachtengemäldes. Der sozialistische und sozialdemokratische Realismus führte diese Tradition im 20. Jahrhundert ungebrochen fort. Wirtschaft war der tägliche Krieg gegen die widerspenstige Materie und ließ sich in heroischen Tableaus abbilden, die der militärischen Tradition entsprachen.

 

Am Anfang des 21. Jahrhunderts ist das schwieriger geworden. Die bildende Kunst hat ihre Deutungshoheit eingebüßt und muss sich mit ihren eigenen, nicht zuletzt ökonomischen, Widersprüchen herumschlagen. Die Werbung hat ihr im Kampf um “Mind share” – den Marktanteil im Bewusstsein der Konsumenten – längst den Rang abgelaufen.

 

Und die Wirtschaft ihrerseits hat sich ins Immaterielle verflüchtigt; selbst ihr Schmiermittel, das Geld, ist virtuell geworden. Spektakuläre Massenszenen wie im Industriezeitalter sind eher die Seltenheit. Die Informationsökonomie ist weitgehend abstrakt und sträubt sich gegen die klassisch opulente Darstellung.

 

Manchmal gelingt sie aber doch. Etwa wenn Andreas Gursky seine Plattenkamera in der New Yorker Börse aufstellt und den molekularen Bürgerkrieg der Trader zu einem amorphen und mittelpunktlosen Panorama gefrieren lässt. Oder wenn er beim Madonna-Konzert aus der Vogelperspektive nicht nur die jubelnde Masse ins Bild setzt, sondern auch diejenigen, die hinter den Kulissen die Illusionsmaschine bedienen.

 

Gurskys Bilder eröffnen die Ausstellung “Art & Economy” in den Hamburger Deichtorhallen und stellen einen letzten Anknüpfungspunkt zu dem dar, was Kunst und Fotografie einmal waren: Realität, dingfest gemacht. Ganz am Ende der Ausstellung wird man zu diesem Punkt zurückkehren.

 

Dort hängen die extrem breitformatigen Gruppenfotografien von Zhuang Hui. Mit der 180-Grad-Kamera nimmt er die kompletten Belegschaften chinesischer Großbetriebe auf und vermittelt ein eindrückliches Gefühl davon, was korporativer Kollektivismus in der Backsteinökonomie war und in Teilen der Welt immer noch ist. Zhuang Hui hat die zwei Enden der Weltwirtschaft abfotografiert. Dazwischen erstreckt sich der unüberschaubare Kontinent möglicher Positionen, die zeitgenössische Künstler zur Ökonomie im Generellen und zur eigenen Rolle darin beziehen können.

 

Dass der Traum einer möglichen Autonomie der Kunst bereits Mitte des letzten Jahrhunderts ausgeträumt und einer allgegenwärtigen “Kulturindustrie” anheim gefallen war, lässt sich im gleichnamigen Kapitel bei Horkheimer und Adorno studieren: Nicht der Warencharakter der Kunst an sich sei das Neue, sondern “dass Kunst ihrer eigenen Autonomie abschwört, stolz unter die Reihe der Konsumgüter sich einreiht, macht den Reiz der Neuheit aus” – und markiert den Grad ihrer Korrumpiertheit. Der Unterton der Empörung mutet heute fast rührend an, hat man sich doch längst mit dem Warencharakter der Kunst ein für allemal arrangiert und sucht nur noch nach Mitteln und Wegen immanenter Abgrenzung.

 

Dennoch ist die Unterwerfung der Kunst unter die Ökonomie heute keine so vollständige, wie die “Dialektik der Aufklärung” sie konstatierte. Vielmehr scheinen die Berührungsängste, das Spiel mit Nähe und Distanz, Verweigerung und Kommerz heute mehr denn je das eigentliche Thema der Kunst auszumachen, so sie denn auf gesellschaftliche Relevanz abzielt. Durch das beziehungsreiche Dickicht dieser liaison dangereuse schlägt die Ausstellung eine in ihrer Streckenführung keineswegs zwingende, aber doch gut begehbare Schneise. Und sie mäandert zwischen den beiden Polen ätzender Kritik und hemmungsloser Affirmation. Für das Extrem auf der einen Seite steht wohl am ehesten der in Mexiko lebende Santiago Sierra, dessen ökonomische Missstände anprangernde Kunst buchstäblich wehtut. Gegen den üblichen Stundensatz ließ er Tagelöhner stundenlang eine massive Wand in einer Galerie abstützen oder zahlte Freiwilligen ein bescheidenes Honorar, wenn sie sich eine gerade Linie auf den Rücken tätowieren ließen.

 

Den Gegenpol radikaler Angepasstheit markieren Masato Nakamura und seine aus den goldenen Bögen des McDonald’s-Emblems zusammengesetzte, von sattgelbem Licht illuminierte Rauminstallation “QSC+mV”. Verzweifelt sucht man hinter der ästhetischen Verdopplung des allgegenwärtigen Logos irgendeine Kritik. Und eine Aussage des Künstlers wie “Ich wollte etwas herstellen, das einfach nur schön ist” ist dabei nicht gerade hilfreich.

 

Natürlich könnte man mit sehr viel Wohlwollen dahinter die alte Camp-Strategie der Subversion durch Überaffirmation erkennen: der Künstler als Symptom der Paralysierung durch die Wirtschaft. Aber ob das der Sache gerecht wird? Oder nur dem Betrachter, der das stolze Aufgehen der Kunst in Werbung schlicht nicht akzeptieren kann?

 

Genau in der Mitte zwischen Anpassung und Verweigerung steht der Franzose Matthieu Laurette – und zwar indem er beides radikalisiert. Sein totalkünstlerischer Ansatz heißt “Money-back Life!” und stellt das soziale Experiment dar, ohne Geld, nur von den Gratis- und Geld-zurück-Angeboten der Warenhäuser zu leben. Bei äußerlichem Einverständnis mit dem System und seinen Instrumenten der Kundenbindung schlummert die Subversion allein in der Vorstellung, was passierte, “wenn das alle machen würden”. Als “King of the Freebies” hat er es damit nicht nur in diverse Talkshows, sondern auch in die internationale Kunstszene geschafft und ist selbst zu einem bekannten Markenartikel geworden.

 

Genau das strebt auch Swetlana Heger an und gibt dazu vorsätzlich und augenzwinkernd jeden Gedanken an Autonomie der Kunst an der Museumsgarderobe ab. Dafür lässt sie sich von der Hamburger Beratungs- und PR-Agentur German Communication ein neues Image verpassen und von GFT, New York, eine Website bauen.

 

In der Installation “Playtime” ist dann auch nur noch ein Flachbildschirm mit ihrem neuen Image zu sehen, der auf einem Löwenfell liegt. Dazu eine Spanische Wand, über der ein teurer Versace-Fummel hängt, und ein hübsch geschwungener Designersessel, den freundlicherweise die Firma Vitara gesponsert hat. Das Kunstwerk als perfektes Product Placement. Von der Künstlerin keine Spur bzw. eben gerade doch.

 

Ähnlich schillernd auch das Konzept “1:1″ von Eva Grubinger, das die Verwirrung der Zirkulationssphäre zwischen Geld, Macht und Kunst bewusst auf die Spitze treibt. Den ihr von Siemens und der Deutschen Bank zugesicherten Betrag von 15 000 Euro überwies die Künstlerin im Vorfeld schon mal zum Nominalwert in D-Mark an die beiden Firmen zurück. Die eigentliche Arbeit besteht dann aus den vergrößerten Einzahlungsbelegen und drei Fotos, die die Künstlerin angespannt telefonierend zwischen den beiden entspannten Konzernchefs Breuer und von Pierer zeigt. Das eigentliche Machtgefälle und die Abhängigkeit der Kunst von der Wirtschaft wird erst in dieser Arbeit richtig deutlich.

 

Dass Wirtschaft nämlich zunächst mal nicht die Wirtschaft als monolithisches Ganzes oder gar als System ist, sondern sich aus einzelnen Unternehmen zusammensetzt, in denen reale Personen ganz handfeste Interessen verfolgen, wenn sie sich mit der Kunst einlassen. Die Frage des Künstlers im Zeitalter des Sponsoring ist dann nämlich nicht mehr, wie er es mit dem Kapitalismus als solchem hält, sondern wie viel Geld er von welcher Firma annimmt und was er damit anstellt.

 

Demütig die Hälfte davon zurückzuüberweisen, ist als vorgeschützte Geste der Hilflosigkeit da fast schon wieder eine clevere Strategie. Sie verweist auf den zweiten, dokumentarischen Teil der Ausstellung, der die Unternehmenssicht widerspiegelt. Wie gehen Unternehmen mit Kunst um? Wie taucht Kunst in ihrer Werbung auf? Wie fließt sie als Design in die Produkte ein? Welche Unternehmen kaufen und fördern überhaupt Kunst? Und wieso eigentlich?

 

Die letzte Frage hat es in sich, bedenkt man, dass Kunst zum Erreichen des eigentlichen Geschäftszwecks der meisten Unternehmen alles andere als zwingend erforderlich ist. Wolfgang Ullrich versucht im Katalog eine Begründung, die auf eine psychosoziale Herleitung des Mäzenatentums aus der Geistlosigkeit des Geschäftslebens hinausläuft: “Wissenschaftler, Techniker, Industrielle, Banker und Manager gehen also oft so weit, gerade ihre eigene Rolle kritisch zu sehen und – zumindest in reumütigen Viertelstunden – selbst nach einem Gegenpol zu ihrer als einseitig, stupid, menschenverachtend oder oberflächlich empfundenen Arbeit zu suchen.”

 

Schön, wenn jemand Technokraten und Managern noch so viel uneitle Selbsterkenntnis gepaart mit hehrem Kunstsachverstand zutraut. Plausibler erscheint hingegen abermals die Version von Horkheimer und Adorno, die – noch in streng marxistischer Terminologie – nicht auf den primären Kunstgenuss, sondern auf den Sekundärnutzen von Kunstwerken im Unternehmen abhebt: “Was man den Gebrauchswert in der Rezeption der Kulturgüter nennen könnte, wird durch den Tauschwert ersetzt, anstelle des Genusses tritt Dabeisein und Bescheidwissen, Prestigegewinn anstelle der Kennerschaft.”

 

Diese Sichtweise findet sich auch in der Ausstellung bestätigt, der man im künstlerischen Teil allenfalls mit Marcuse “repressive Toleranz” vorwerfen könnte, nicht jedoch, dass die kritische Seite unterschlagen würde. Ein Raum versammelt in der Presse veröffentlichte Fotos von Vorstandsvorsitzenden vor ihren Kunstwerken. Durch die Reihung wird schlagartig deutlich, dass Kunst in Unternehmen und Chefetagen vor allem diesen einen Zweck erfüllt: nach außen die Corporate Identity abzurunden – Dabeisein, Bescheidwissen, Prestigegewinn.

 

Nicht zuletzt dieser Aspekt hat in der Diskussion um die Ausstellung in den Deichtorhallen ihrem Direktor Zdenek Felix den Vorwurf eingehandelt, sich willfährig und ohne äußere Not vor den Karren der Wirtschaft spannen zu lassen. Als Mitveranstalter fungiert das Siemens Arts Program, und in der Tat fehlt es nicht an Verweisen auf die Verdienste dieser Einrichtung. Der Redlichkeit halber wurden aber von insgesamt 800 Unternehmen Darstellungen ihrer Aktivitäten in Sachen Kunst eingeholt und aufbereitet. Man kann es sich einfach machen und diesen Teil der Ausstellung einfach links liegen lassen. Das wäre die klassische Verweigerungshaltung. Dabei liefert aber gerade dieser Hochglanz-Overkill aufschlussreiche Einsichten in das problematische Interagieren von Kunst und Wirtschaft. Und zwar in dem, was er verschweigt.

 

In den Selbstdarstellungen der Unternehmen erscheint ihr Engagement in Sachen Kunst durchweg als gut geölte Maschine, die keine Aussetzer hat. Man weiß schließlich, worauf man sich mit Künstlern einlässt, und dass sie immer die Hand beißen müssen, die sie füttert. Das ist längst Teil der großen Erzählung geworden.

 

Was aber, wenn Künstler einmal den neuralgischen Punkt treffen, auf den das Unternehmen empfindlich reagiert, den Lüftungsschacht, der den Todesstern Konzernimage verwundbar macht? Dokumente dieses Scheiterns sucht man in der Ausstellung vergebens. Kein Wort etwa über die 1999 geplatzte Kooperation der Deutschen Bank mit Christoph Schlingensief.

 

Wir erinnern uns: Anlässlich eines Galaabends hatte das Geldinstitut dem notorischen Provokateur wagemutig freie Hand für ein Event gegeben. Als Schlingensief ankündigte, sein gesamtes Honorar in Höhe von 100 000 Mark in kleinen Scheinen vom Dach des Reichstags zu werfen, machte die Bank sehr schnell einen Rückzieher. Über solche Vorkommnisse hätte man sicher mehr erfahren können, wenn die Ausstellung ohne Sponsor ausgekommen wäre, der noch dazu ein Mitspracherecht beim Programm hat. Aber dann gäbe es die gesamte Ausstellung vermutlich nicht. So funktioniert Kulturindustrie heute.

 

In Jungle World.

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