Malerei im Zeitalter der Desillusion

Eine Ausstellung in der Kunsthalle Wien untersucht den “radikalen Realismus nach Picabia”. Von Holm Friebe, erschienen am 07.11.2002 in der Berliner Zeitung.

 

Die Geschichte geht so: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entband die Fotografie die Malerei von ihrer Pflicht zur figürlichen Repräsentation. Die Malerei konnte danach draußen im Abstrakten spielen gehen. Wenn das so einfach wäre, müssten die bildenden Künstler, die beharrlich an der Konvention festhalten, als hoffnungslos rückständig gelten. Manche mögen den Fortschritt der Kunst versäumt haben. Dass aber etwas an dieser Version nicht stimmen kann, zeigt sich daran, dass die figurativen Maler nicht weniger wurden und einige von ihnen sogar Erfolg hatten. Womöglich verläuft die Kunstgeschichte genauso wenig linear wie die richtige Geschichte. Frühformen der Pop-Art Die Ausstellung “Lieber Maler, male mir …” – ein Gemeinschaftsprojekt der Wiener Kunsthalle, des Centre Pompidou (Paris) und der Schirn Kunsthalle (Frankfurt am Main) – strebt eine Revision nebst einiger Rehabilitationen an, indem sie den “radikalen Realismus nach Picabia” ins rechte Licht zu rücken sucht. Ausgangspunkt ist mit Francis Picabia eine der schillerndsten Figuren der Kunst des 20. Jahrhunderts. Der Dadaist und spätere Situationist scherte sich herzlich wenig um die Vorstellungen seiner Zeit und malte, wie es ihm passte. In den 40er-Jahren waren das Akte nach Abbildungen aus Pornomagazinen. Was sich heute als visionäre Frühform der Pop-Art lesen lässt, stieß bei Picabias Zeitgenossen auf Unverständnis und wurde als reaktionär eingestuft. In Wien erscheinen die Bilder etwas monokausal als kreativer Urknall, der eine Reihe künstlerischer Positionen in der Tradition des Realismus erst möglich machte. Dabei sind sich die Kuratoren der “spekulativen Genealogie” durchaus bewusst, in der sie 17 Künstler zu Picabia positionieren. Vieles, was sich mit Realismus assoziieren lässt, taucht gar nicht erst auf: der unterkühlte Impressionismus von Edward Hopper oder David Hockney, der amerikanische Fotorealismus, der Sozialrealismus der britischen “Kitchen Sink”-Schule oder der Neo-Expressionismus der deutschen Neuen Wilden aus den 80ern. Gegen Letztere ging, was Martin Kippenberger – der neben Picabia, Polke und Buffet hier eine Schlüsselrolle beanspruchen kann – einmal verlauten ließ: Er habe “mit gemalten Bildern eigentlich nichts am Hut”. Für die Bildserie “Lieber Maler, male mir …” von 1981, die auch den Ausstellungstitel stiftete, ließ er deshalb Selbstporträts von einem Kinoplakatmaler anfertigen. Auf einem Bild sieht man den Maler von hinten, wie er, offensichtlich derangiert, von einem Freund über die Düsseldorfer Kö geführt wird. “Malerei im Zeitalter der Desillusion”, wie es Picabia genannt hatte. Man merkt schon an den benannten Leerstellen und an Kippenberger: Um realistische Malerei geht es nicht in erster Linie. Vielmehr sind Ansätze versammelt, die den Realismus als uneigentliches, ironisches Vehikel gebrauchen, um andere Inhalte einzuschmuggeln. Auch der Stil ist dann nicht mehr ureigene Handschrift des Künstlers, sondern konzeptionelles Werkzeug, oft versehen mit einem intellektuellen Twist – wie bei Glenn Browns handwerklich perfekten Samplings von Fragonard bis van Gogh. Die Motive beziehen sich auf die Darstellungsweisen einer medial vermittelten Massenkultur und deren Niederungen. “Trash ist eine nicht unwesentliche Matrix”, wie es im Katalog heißt. Wenn dabei der Kitsch und die Klischees so auf die Spitze getrieben werden wie in den an Genrestücke erinnernden Bildern von John Currin, bekommt auch das vordergründig Trashige eine ganz neue Ernsthaftigkeit. “Die Klischees selbst sind so etwas wie Kunst für Arme”, sagt Currin – sich ernsthaft hineinzuversetzen ist also ein ernst zu nehmendes Konzept. Als Referenz für diesen spielerischen Ernst geistert Guy Debord, neben Picabia wichtigster Stichwortgeber des Situationismus, durch den Raum und manifestiert sich zweimal: in Glenn Browns “The Suicide of Guy Debord” als von der Decke hängender Farbklumpen und im Zitat auf einer Werbetafel in Carola Benzakens Endlosrolle vermeintlich authentischer, hart angeschnittener Alltagsschnipsel. “Die Gesellschaft des Spektakels”, so der Titel von Debords Hauptwerk, bildet den Hintergrund, vor dem auch die radikal realistische Malerei zu ihrem Recht kommt. Das Spektakuläre lässt sich eben nur spektakulär ins Bild setzen, am spektakulärsten gelungen vielleicht in Karl Kaupers Porträts des nackten Cary Grant am Kaminsims. Punk als Verbindungsstück Die Apotheose des schlechten Geschmacks erinnert fast ein wenig an Punk – als ästhetisches Konzept, als legitimen Erben des Situationismus und Verbindung zwischen diversen marginalen Positionen des 20. Jahrhunderts, wie schon Greil Marcus befand. Mit dieser Lesart freilich fallen einige jüngere Positionen der Ausstellung – wie Alex Katz oder Neo Rauch – etwas aus dem Rahmen. Aber das kann man bei einer mutigen Neuvermessung der malerischen Landschaft des 20. Jahrhunderts wohl in Kauf nehmen.

Ausstellung bis zum 1. Januar in der Kunsthalle Wien, Katalog 25 Euro. “Ich habe mit gemalten Bildern eigentlich nichts am Hut. ” Martin Kippenberger. VBK WIEN Pornomagazin als Inspiration: Picabias “Die Brünette und die Blonde” (1941).

 

In der Berliner Zeitung.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.